Schadow hautnah: Restaurierung des Gipsoriginals der „Prinzessinnengruppe“
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Die Restauratorinnen Alexandra Czarnecki und Friederike Labahn haben zusammen mit Theresa Bräunig und Kai Roetger das Gipsmodell von Johann Gottfried Schadows „Prinzessinnengruppe“ restauriert. Im Januar sprachen sie über die Restaurierung, die Werkgenese und die jetzt in der Alten Nationalgalerie stattfindende Ausstellung „Berührende Formen – Johann Gottfried Schadow“.
Sie arbeiten derzeit an einem großen Restaurierungsprojekt zu Johann Gottfried Schadows „Prinzessinnengruppe“ – Was hat es damit auf sich und worum geht es in dem Projekt?
Alexandra Czarnecki (AC): Es ist ein Forschungs- und Restaurierungsprojekt, das seit 2019 läuft und in dem das originale Gipsmodell der Prinzessinnengruppe vollständig restauriert und anschließend ausgestellt werden soll. Zusätzlich zu den Restaurierungen haben wir außerdem die Gelegenheit genutzt und zahlreiche konservatorische und kunsttechnologische Untersuchungen am Objekt gemacht.
Was ist das Besondere an dem restaurierten Modell und welche Rolle spielte es im Entstehungsprozess der marmornen „Prinzessinnengruppe“, die wir kennen?
AC: Das Objekt ist aus Gips, aber es handelt sich dabei nicht um einen Abguss des Marmors, sondern um ein Originalmodell. Das bedeutet, dass es direkt aus den Händen von Schadow selbst kommt und zur Vorbereitung für die Umsetzung in Marmor diente. Das Objekt ist für Fachleute und Museumsbesucherinnen und -besucher sehr interessant, weil hier sehr viel Schadow drinsteckt. Gips war ein beliebtes Material unter Bildhauern, weil er leicht zu verarbeiten ist. Man kann daher an Gipsmodellen gut sehen, wie die Künstler in ihrem kreativen Prozess vorgegangen sind.
Das Gipsmodell war also das erste Modell, die Studie zur finalen Skulptur?
AC: Nein, vorher ist noch ein Tonmodell entstanden. Diese Tonmodelle waren aber nicht beständig, weil man sie zu Schadows Zeit nicht brennen konnte. Man hat die Tonmodelle also in Gips abgeformt und dann weiter damit gearbeitet. Dabei wurden dann noch viele Änderungen vorgenommen, die am Marmor umgesetzt wurden. Im Fall der Prinzessinnengruppe ist besonders das Tuch interessant, das Luise trägt: Das hat Schadow später in Form eines in Gips getränkten, echten Textils hinzugefügt.
Warum wurden solche Änderungen später im Schaffensprozess noch gemacht?
AC: Im Fall des Tuches steckt eine interessante Geschichte dahinter. Die Figur der Luise hatte bei der ersten Vorstellung des Werkes, 1795 in der Königlich Preußischen Akademie der Künste, noch ein Blumenkörbchen in der Hand. Das gefiel dem König nicht und es musste geändert werden. Es ist nicht ganz klar, warum es nicht gefiel, aber Schadow musste es entfernen und hat Luise stattdessen diesen Tuchzipfel in die Hand gegeben. Luise hat tatsächlich solche Tücher getragen. Sie waren bunt und sie trug sie gern um ihre Hüfte als Accessoires zu ihren weißen Kleidern. Das war ein Einfluss der französischen Mode.
Sie sprachen gerade davon, dass das Objekt im Rahmen des aktuellen Projektes untersucht wurde. Was wurde dabei untersucht und warum wurden die Forschungen durchgeführt?
AC: Uns waren am Anfang zwar die Schäden an dem Originalmodell bekannt, aber die Ursachen teilweise nicht. Wir mussten also zunächst die Ursachen für alle Schäden finden und dafür mussten wir den Aufbau der Malschichten entschlüsseln und chronologisch ordnen, sowie für jede Schicht herausfinden, welche Bindemittel und Pigmente verwendet wurden. Erst wenn die Abfolge und die verwendeten Materialien bekannt sind, können wir überlegen, welche restauratorischen Maßnahmen sinnvoll sind.
Welche Beschädigungen haben Sie denn an den Prinzessinnen gefunden?
Friederike Labahn (FL): Wir haben vor allem Schäden in Form von Fehlstellen und Farbabplatzungen in den Malschichten gefunden. Bei der Untersuchung haben wir entdeckt, dass das Modell sehr oft übermalt wurde und dass Spannungen in der Oberfläche zu Schäden im Gipsgefüge geführt haben.
Die Schäden stammen von früheren Restaurierungen?
FL: Ja genau, Restaurierungsversuche der Vergangenheit haben zu einigen der Schäden geführt. Wir konnten im Laufe der Untersuchungen feststellen, dass es mehrere Restaurierungen gegeben hat, die nicht nur Übermalungen, sondern auch plastische Überformungen beinhaltet haben. Interessanterweise stellte sich heraus, dass die jüngste Restaurierung aus den 1980er Jahren das größte Schadenspotential hatte.
Was genau ist dabei schiefgegangen?
AC: Schiefgegangen würde ich nicht sagen, es wurde übermalt und überformt und das war einfach zu viel – die Vorgänger haben bei älteren Restaurierungen auch übermalt und überformt und das Paket wurde immer dicker, sodass es am Schluss nicht mehr tragbar war. Ich mache unseren Vorgängerinnen und Vorgängern auch keinen Vorwurf, sie haben sich an dem damaligen Wissensstand orientiert und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Aber die letzte Restaurierung war quasi der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Malschichten begannen sich zu lösen und abzufallen und bei der genaueren Untersuchung fanden wir außerdem heraus, dass es teils krasse Überformungen gab, insbesondere im Bereich des Tuchs, das Luise in der rechten Hand hält. Diese Überformungen haben das ursprüngliche Bild verfremdet.
Was heißt Überformung in diesem Kontext?
AC: Es gab Fehlstellen am Modell und die wurden nicht nur verschlossen, sondern es wurde zusätzlich über die Originaloberfläche neben den Fehlstellen Ergänzungsmaterial aufgetragen und so wuchsen die Schichten über die Jahrzehnte immer weiter an. Heute folgen wir einer anderen Ethik bei der Restaurierung. Wir überformen und übermalen nicht mehr alles, sondern beschränken uns darauf, Lücken zu schließen, aber gleichzeitig die Spuren der Zeit sichtbar zu lassen und somit den Alterswert der Objekte anzuerkennen. Es geht uns um eine Balance, die einerseits die Form komplettiert und andererseits eine eigene ästhetische Wahrnehmung der gealterten Objekte zulässt.
Was haben Sie bei den Untersuchungen noch herausgefunden?
AC: Darüber hinaus fanden wir heraus, dass Luises Arm bei einer früheren Maßnahme offenbar entfernt und falsch wieder angebracht worden war. Wir konnten das glücklicherweise korrigieren und den Arm wieder so anbringen, wie er ursprünglich war.
… Sie haben den Arm abgenommen?
AC: Ja, der Arm von Luise war zu weit abgespreizt und die rechte Hand tauchte nicht mehr in die Draperie ein wie ursprünglich vorgesehen. Er muss bei einer vorherigen Maßnahme abgenommen und falsch wieder angesetzt worden sein. Durch Bilder aus dem Zentralarchiv konnten wir das chronologisch gut einordnen. Unsere Vermutung ist, dass es um 1910 herum passiert ist. Damals gab es in Deutschland eine große Renaissance nationaler Künstler wie Schadow und Caspar David Friedrich. Wir wissen, dass in dieser Zeit ein Abguss von unserem Modell gemacht worden ist, um eine Bronze davon herzustellen. Vermutlich wurde bei diesem Prozess der Arm abgenommen, ohne dass Fachleute dabei waren, und dann falsch wieder drangesetzt. Wir haben uns entschieden, das zu korrigieren und haben beim Wiederanfügen der Teile festgestellt, dass die Montage relativ kompliziert ist – man kann Arm und Hand nicht nacheinander montieren, sondern muss alles gleichzeitig anbringen. Wahrscheinlich haben unsere Vorgänger das nicht geschafft und so mussten sie das Handgelenk leicht verlängern, wodurch die Hand nicht mehr wie vorgesehen in die Draperie eintauchte. Wir hatten den Vorteil, dass wir das virtuell durchspielen und so den richtigen Weg der Montage finden konnten. Nun ist alles wieder im ursprünglichen Zustand.
Warum wurden bei früheren Restaurierungen die Objekte so oft übermalt?
FL: Gips zieht den Schmutz an, er setzt sich auf der Oberfläche ab und vergraut die Objekte. Gleichzeitig ist die Restaurierung von Gips schwierig: Das Material ist sehr empfindlich und man kann weder mit Feuchtigkeit noch mit Reibung arbeiten, ohne den Gips zu gefährden. Da der Schmutz mit früheren Methoden nicht gut entfernt werden konnte, hat man die Objekte gern komplett übermalt, um sie neu und gepflegt aussehen zu lassen.
Welche Restaurierungsphasen konnten Sie bei den Untersuchungen entdecken?
FL: Wir haben viel Mühe in die Analyse gesteckt und konnten anhand eines Pigments eine Zeitschiene rekonstruieren. Das Pigment konnten wir einer Restaurierung in den 1920er Jahren zuordnen. Mit diesem Fixpunkt konnten wir anhand der Schichten andere Eingriffe in ein Davor und ein Danach aufteilen. Die Schicht aus den 1920er Jahren wird die Schicht sein, bis zu der die Übermalungen abnehmen.
Warum fiel die Entscheidung für genau diese Farbschicht?
FL: Wir haben lange und intensiv diskutiert und uns letztlich dafür entschieden, weil die Schicht noch vollflächig vorhanden ist und dem originalen Gips vom Farbton her sehr nahekommt. Alles, was darunter liegt, ist nur noch rudimentär als Flickenteppich erhalten, außerdem wäre es zu riskant weiterzugehen und den fragilen Gips freizulegen. Wir haben uns also auch aus konservatorischen Gründen dafür entschieden, bei dieser Schicht aus den 1920er Jahren zu stoppen.
Farbschichten einzeln abzunehmen klingt sehr schwierig – wie funktioniert das?
FL: Das ist ein langer Weg. Wir können verschiedene Malschichten mit chemischen Analysen identifizieren, indem wir schauen, welche Pigmente und Bindemittel sie enthalten. Hinzu kommt natürlich auch die eigene Erfahrung und so tastet man sich dann langsam heran und probiert verschiedene Methoden aus, um die Schichten zu entfernen. In unserem Fall war die oberste Schicht wasserlöslich, das war also recht einfach. Danach wurde es dann aber immer schwieriger – je näher man dem Originalgips kommt, umso kritischer wird es. Wir haben zum Beispiel auch einen Dummy erstellt und daran Dinge ausprobiert, die wir danach dann am Objekt umgesetzt haben.
Was waren bisher die größten Herausforderungen bei dieser Restaurierung?
FL: Die Abnahme der Übermalungen ist jedes Mal eine Herausforderung, vor allem, wenn wir sehr nah an den Gips herankommen. Das war gerade am Anfang sehr nervenaufreibend, mit der Zeit kommt man dann hinein und fühlt sich sicherer. Die Gesichter sind natürlich auch so eine besondere Zone, da muss man sehr aufpassen. Wir haben bei der Farbabnahme Fotos des Zwischenzustands gemacht, um den Kontrast vor und nach der Abnahme deutlich sichtbar zu machen. Daran sieht man gut unseren Fortschritt und versteht, was wir genau gemacht haben.
Und nach der vollendeten Restaurierung soll es eine Ausstellung geben?
AC: Ja, es wird eine Ausstellung und eine kleine Sensation geben. Denn wir werden in dieser Ausstellung erstmalig eine Gegenüberstellung von Gipsplastik und Marmorskulptur in einem Raum machen. Die kuratorische Herausforderung dabei wird es sein, beide Figurengruppen in ihrer Qualität und Besonderheit nebeneinander zu zeigen, ohne dass da eine Konkurrenz entsteht.
AC: Es wird ein Blick auf Schadow, seine europäischen Einflüsse und seine Rezeption. Ich denke für die Besucherinnen und Besucher wird es ein wunderbarer Einblick in Schadows Werk und seine Zeit. Und es wird auch einen eigenen Ausstellungsteil nur zum Thema Restaurierung geben, das freut uns natürlich besonders.
Das Projekt wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung der Hermann Reemtsma Stiftung, der Rudolf-August Oetker-Stiftung und der Kulturstiftung der Länder.
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