Sensation im Kupferstichkabinett: Das „Karlsruher Skizzenbuch“ von Caspar David Friedrich
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Die Staatlichen Museen zu Berlin haben ein extrem seltenes Skizzenbuch von Caspar David Friedrich erworben. Dagmar Korbacher und Anna Pfäfflin vom Kupferstichkabinett über die Erwerbung und die kunsthistorische Bedeutung des Büchleins.
Interview: Sven Stienen
Die SPK hat gemeinsam mit der mit der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Klassik Stiftung Weimar und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, sowie mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und weiterer Förderer das sogenannte „Karlsruher Skizzenbuch“ von Caspar David Friedrich erworben. Was ist das für ein Buch und wieso ist es auf einmal aufgetaucht? Handelt es sich um einen spektakulären Dachbodenfund?
Anna Pfäfflin: Wir wussten seit vielen Jahren von der Existenz des Buches, denn es ist eines von nur sechs intakten Skizzenbüchern von Caspar David Friedrich und somit eine echte Rarität. Es gibt insgesamt etwa 20 bekannte Skizzenbücher, von denen jedoch der Großteil aufgelöst wurde und heute nur noch als Einzelblätter vorhanden ist. Hinzu kommt, dass sich bislang nur eines der sechs intakten Bücher in Deutschland befunden hat, und zwar in Dresden. Das „Karlsruher Skizzenbuch“ ist insofern eine ziemliche Sensation. Wir wussten zwar, wie gesagt, von seiner Existenz, aber da es sich bis jetzt in Privatbesitz befand, war es der Forschung und der Öffentlichkeit bisher nicht bzw. nur schwer zugänglich.
Warum kam es nach so vielen Jahren gerade jetzt zum Ankauf?
AP: Das Buch wurde vom Besitzer durch das Auktionshaus Grisebach zum Verkauf angeboten. Dieses Angebot hat uns natürlich in Aufregung versetzt, zumal das Büchlein über eine ausgesprochen herausragende Provenienz verfügt. Es kommt aus der Familie des Malers und Friedrich-Zeitgenossen Georg Friedrich Kersting und wurde von Caspar David Friedrich persönlich an seinen guten Malerfreund verschenkt. Kersting hat Friedrich sogar mehrfach porträtiert. Das Skizzenbuch blieb bis heute im Besitz der Familie des Malers und wurde in Karlsruhe aufbewahrt. Warum es jetzt verkauft wurde, wissen wir nicht, aber wir freuen uns, dass Bewegung in die Sache kam und das Buch nun der Öffentlichkeit zur Verfügung steht.
Die SPK hat das Buch nicht alleine erworben – wie kam es zu der Kooperation mit Dresden und Weimar?
Dagmar Korbacher: Das Büchlein ist durch seine Einzigartigkeit für die Museen ein enorm wichtiges Objekt per se. Es enthält zahlreiche Naturstudien und Motive, die mit Friedrichs absoluten Hauptwerken der Romantik korrespondieren, die sich ebenfalls in unseren Sammlungen befinden. Es gibt also starke Verbindungen in unsere Bestände hinein. Hinzu kommt das enorme Interesse der deutschen Öffentlichkeit an Caspar David Friedrich, das in diesem 250. Jubiläumsjahr und durch die sehr erfolgreiche Ausstellung, die derzeit in der Alten Nationalgalerie läuft, nochmals bestätigt wurde. Wir haben also als Museen indirekt den Auftrag erhalten, dieses Kulturgut für die Allgemeinheit zu erwerben und zu sichern. Der Auftrag, der kaum zu überhören war, war klar: Sammelt Geld, versucht, das Buch zu erwerben, erforscht es und macht es der Öffentlichkeit zugänglich. Deswegen haben wir sehr konzentriert und zielstrebig die Arbeit aufgenommen und innerhalb kurzer Zeit mit der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder und weiteren Förderern sowie unseren musealen Partnern, der Klassik Stiftung Weimar und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, ein Konsortium gebildet und den Ankauf organisiert.
Das klingt nach einer unkomplizierten und pragmatischen Zusammenarbeit …
DK: Definitiv! Ich freue mich natürlich sehr über den erfolgreichen Ankauf des Buchs, aber ich freue mich ebenso über diese fantastische Zusammenarbeit. Ich habe selten eine so kollegiale, partnerschaftliche und zukunftsgewandte Kooperation erlebt – das ist wirklich ein sehr hell leuchtender Stern am Himmel des Kulturföderalismus in Deutschland. Wir haben als drei gleichberechtigte Institutionen auf Augenhöhe gehandelt – jeder hat gleich viel bezahlt und das erworbene Objekt wird künftig im 5-Jahres-Rhythmus zwischen den Institutionen wechseln und gemeinsam beforscht werden. Ich freue mich wirklich sehr, dass dieses Skizzenbuch jetzt im Museumsbesitz ist.
Wie kann man sich die Abstimmung zwischen drei großen Kultureinrichtungen angesichts eines so wichtigen Erwerbungsvorhabens vorstellen?
DK: Das lief sehr unkompliziert ab, denn wir sind ohnehin ständig im engen Austausch mit den befreundeten Institutionen in Dresden und Weimar, insbesondere innerhalb der Grafischen Sammlungen. Insofern lief das sehr niedrigschwellig und kollegial ab – es wurde im Rahmen des schon bestehenden Austausches erörtert und dann, als klar war, dass alle mitmachen, sehr schnell umgesetzt.
AP: Eine Besonderheit dieser Erwerbung ist, dass sie jetzt, im 250. Jubiläumsjahr des Künstlers, stattfand. Man hat in dem laufenden Jubiläumsjahr bereits gesehen, wie groß das öffentliche Interesse an Caspar David Friedrich ist und was für eine wichtige Identifikationsfigur er für die Deutschen noch immer ist. Und bei den beteiligten Institutionen findet sich heute eine geballte Kompetenz, was Caspar David Friedrich angeht. Dass nun ein so wichtiges Werk des Künstlers, sein Skizzenbuch, von uns gemeinsam erforscht werden kann, ist ein ganz besonderer Glücksmoment in diesem Friedrich-Jahr. Es ist wirklich aufregend, welche neuen Fragen diese Erwerbung in der Caspar David Friedrich-Forschung ermöglicht. Wir haben uns in den vergangenen Monaten und Jahren alle sehr intensiv mit dem Werk von Caspar David Friedrich beschäftigt, momentan besteht also in den beteiligten Sammlungen eine hohe Dichte an wissenschaftlicher Kompetenz zum Künstler. Das in Privatbesitz befindliche Karlsruher Skizzenbuch stand naturgemäß nicht im Zentrum dieser Forschungen. Das ändert sich jetzt, neue Fragen werden zu neuen Erkenntnissen führen. Nicht zuletzt, weil wir bereits einen so großen Bestand an Referenzwerken und anderen Skizzen haben. So eine Situation ist für die Wissenschaft wirklich ungewöhnlich.
Was können Sie bereits jetzt über die kunsthistorische Bedeutung des Skizzenbüchleins sagen? Welche berühmten Motive aus späteren Gemälden finden sich darin?
AP: Das Skizzenbuch ist in relativ kurzer Zeit im Frühjahr bzw. Frühsommer 1804 entstanden. Caspar David Friedrich hat damals vieles vorbereitet, was er später, noch bis in die 1830er Jahre, verwendet hat. Gleichzeitig ist diese Phase bisher quellentechnisch nicht gut belegt, es gibt keine Briefe etc. Insofern schließt das Buch eine wichtige Lücke. Über die Skizzenbücher Caspar David Friedrich heißt es bislang, sie seien ein Fundus von Motiven, aus denen er sich später für seine Gemälde und Sepia-Zeichnungen bedient hat. Man muss sich Friedrichs Arbeitsweise so vorstellen: In den Skizzenbüchern arbeitet er wie ein „Proto-Impressionist“, das heißt er geht hinaus in die Natur und zeichnet dort detailgetreu, was er sieht. Seine Gemälde komponiert er dann später im Atelier – er kompiliert Landschaften, die es so gar nicht gibt, deren einzelne Elemente, also Steine, Bäume, Landschaften, jedoch naturgetreu von ihm festgehalten wurden. Im Gemälde setzt er sie nach seinen Vorstellungen ein, um Wirkung zu erzeugen und im Grunde entsteht durch diese Verwandlung die eigentliche Kunst Caspar David Friedrichs.
Das Skizzenbuch kann also helfen, die Entstehung einzelner Werke nachzuvollziehen?
AP: Richtig. Wir stellen einerseits fest, dass darin viele Motive enthalten sind, die uns später in wichtigen Hauptwerken wieder begegnen. Wir finden zum Beispiel die knorrige Eiche, die 1810 in der „Abtei im Eichwald“ erneut auftaucht. Ebenso gibt es einige Fichten und Tannen, die wir in der großen Sepia-Zeichnung „Kreuz im Gebirge“ aus unserem Bestand im Kupferstichkabinett wiedererkennen. Aber es gibt in dem Buch nicht nur einzelne Motive, sondern auch ganze Kompositionen, die erprobt und vorbereitet werden. Das ist vor allem in Bezug auf das große Dresdner Gemälde „Großes Gehege“ von 1832 hochinteressant. Wir können also belegen, dass Caspar David Friedrich bereits 1804 in seinem Skizzenbuch Motive und Kompositionen festhält, die bis in die 1830er Jahre in seinen Werken auftauchen. Das wirft schon die Frage auf: Waren die Skizzen wirklich nur ein Motiv-Fundus oder ist Caspar David Friedrich ein Künstler, der sich mit seinen Bilderfindungen über viele Jahre beschäftigt und sie erst viel später tatsächlich ausführt, wenn der schöpferische Prozess abgeschlossen ist? Das sind faszinierende Überlegungen und durch unsere dialogische Herangehensweise haben wir nun viele kompetente Partner*innen, mit denen wir uns austauschen und diese Fragen gemeinsam untersuchen können.
Caspar David Friedrich, Abtei im Eichwald, 1809/10; Staatliche
Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Foto: Andres Kilger
Caspar David Friedrich: „Das Kreuz im Gebirge“ (um 1805/1807); Foto: Kupferstichkabinett, SMB / Reinhard Saczewski
Was sind jetzt die nächsten Schritte und wo wird das Buch erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert?
DK: Wir haben das Buch tatsächlich gerade abgeholt und es befindet sich jetzt bei uns im Kupferstichkabinett. Derzeit ist eine Kollegin von uns, Hanka Gerold damit beschäftigt, eine spezielle Buchstütze zu bauen, die es uns ermöglicht, das Buch schonend zu präsentieren. Außerdem wird jetzt der exakte konservatorische Zustand ermittelt und protokolliert, es werden professionelle Fotoaufnahmen gemacht und dann wird das Buch für die erste Präsentation vorbereitet. Diese wird in der aktuellen Volontär*innen-Ausstellung „(Un)seen Stories. Suchen, Sehen, Sichtbarmachen“ bis zum 18. August bei uns im Kupferstichkabinett stattfinden. Das Skizzenbuch passt übrigens perfekt zum Thema der Ausstellung, denn es geht darin um Museumsobjekte, die überraschende, verborgene Geschichten und Provenienzen haben. Nach dieser Präsentation geht das Büchlein nach Dresden und wird im dortigen Kupferstichkabinett in der kommenden Caspar David Friedrich -Ausstellung gezeigt und anschließend im Schillermuseum in Weimar, ebenfalls in einer Caspar David Friedrich -Ausstellung zum Jubiläumsjahr. Für die Zeit danach liegt uns bereits eine Leihanfrage vor. Nach dieser kleinen Tournee verbleibt das Buch dann für fünf Jahre in Weimar und wir beginnen mit der gemeinsamen Erforschung und der Digitalisierung. Wir können es kaum erwarten, endlich loszulegen und dieses wichtige Kulturgut, das so lange vor der Öffentlichkeit verborgen war, zu entschlüsseln und für alle zugänglich zu machen.
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