„Wir wecken das Museum aus dem Dornrösschenschlaf“
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Am Wochenende hält zeitgenössischer Tanz Einzug ins Bode-Museum. Wir sprachen mit der Initiatorin Caroline Brandl über die Reihe „Choreographing Politics“ und den Tanz als Kunstform.
Das Bode-Museum öffnet sich mit der Reihe „Choreographing Politics“ für choreografische Arbeiten, die explizit für den Ort der Bildenden Kunst konzipiert wurden, aber dem Tanz zugehörig sind. Die dem Format innewohnende Hybridität fordert das herkömmliche Verständnis von Museumsausstellung und Aufführung heraus, fördert ein neues Verständnis von Choreografie und zeigt, dass Choreografie der Bildenden Kunst ebenbürtig ist.
Wie ist es zu einer Zusammenarbeit zwischen dir und dem Bode-Museumgekommen?
Ich sprach vor einiger Zeit, noch vor Corona, mit Julien Chapuis, der sich für meine Ideen sofort offen zeigte. Wir hatten einen tollen Austausch und es war klar, dass wir gemeinsam das Projekt angehen wollten. Chapuis liebt den Tanz und hat meinen Ansatz verstanden, Tanz nicht einfach einzuladen als “intervention“ oder “event“ sondern die Gelegenheit zu bieten, neue Kunstwerke zu schaffen. Später habe ich mit dem neuen Direktor, Herrn Hoffmann, weitergearbeitet. Ich bin sehr dankbar für die Offenheit des Hauses. Und was bei großen Museen, auch mit einer damit verbundenen komplizierten Logistik, nicht immer selbstverständlich ist, ist hier die Bereitschaft, sich auch auf experimentelle Formate einzulassen. Das spricht natürlich absolut für die Leitung des Bode-Museums.
Wo unterscheidet sich das Projekt von deinem letzten, dem SCULPTUREFestival im Georg Kolbe Museum? Da haben ja auch schon die Who´s Whoder Choreograf*innen neue Werke produziert: Sasha Waltz, Meg Stuart undWilliam Forsythe. Was war da das Konzept und was ist jetzt neu? Wie findestdu zu deinen Ideen für die Formate?
Beim SCULPTURE Festival waren Choreograf*innen eingeladen, skulpturale Aspekte in ihrer eigenen Arbeit zu untersuchen und zu zeigen, was sie unter einer zeitgenössischen Tanzskulptur verstehen. Es wurden in Gegenüberstellung mit musikalischen Positionen Kernfragen der Moderne in die Jetzt-Zeit übertragen. Es ging um die gegenseitige Durchdringung von Skulptur und Tanz in jener Zeit und um wichtige Schlüsselmomente, die bis heute nachwirken. Choreograf*innen wie Isadora Duncan beispielsweise hatte einen ausgeprägten Bezug zur Skulptur und entwickelte daraus ihre individuelle Handschrift. Beim Georg Kolbe Museum waren die Fragen der Moderne deshalb wichtig, da Kolbe selbst ein Bildhauer der Moderne war: Im Mittelpunkt der Museumssammlung stehen seine Skulpturen. Tänzerinnen und Tänzer waren seine wichtigsten Modelle. Georg Kolbe versuchte, Bewegung einzufangen. Wir befanden uns beim Festival quasi auf der entgegengesetzten Seite. Die Künstler wurden bei SCULPTURE aufgefordert, “temporary sculptures“ zu entwerfen. Wie in einer Ausstellung können im Museumsraum Querbezüge zwischen den unterschiedlichen Werken hergestellt werden – durch eine direkte Gegenüberstellung der Arbeiten. Man kann die verschiedenen Konzepte und Ansätze unmittelbar miteinander in Bezug setzen. Dabei spielte die Unabhängigkeit von Musik und Tanz auch eine Rolle.
Was ist bei CHOREOGRAPHING POLITICS neu, spielt der Skulpturbegriff auch da eine grundlegende Rolle?
Auf jeden Fall! Auch hier wird der Skulpturbegriff untersucht, aber unter einem neuen Aspekt. Die Fragestellung war diesmal: Können wir im Museum eine soziale Tanzskulptur schaffen, im Sinne von Beuys, der unter „sozialer Skulptur“ Kunst versteht, die den Anspruch verfolgt, auf die Gesellschaft gestaltend einzuwirken. Der Begriff der „Sozialen Choreografie“ ist also eine Erweiterung des ursprünglichen Konzepts. Das Nachdenken über die Möglichkeit einer sozialen Skulptur wird zum Katalysator für neue Arbeiten in der Choreografie. Die Frage: „Was ist eine soziale oder politische Choreografie?“, beantworten die Künstler*innen jeweils auf ihre individuell verschiedene Art – und das sehr subtil. Das Format ist in keiner Weise didaktisch intentioniert, sondern es weist sehr fein, wenn auch kritisch, auf verborgene Ebenen und Narrationen des Museums hin, die durch die Arbeiten offengelegt werden. Das Museum als öffentlicher Raum ist, wenn man so will, in dem Sinne schon politischer Raum. Diese konkrete Aufgabenstellung gab als Ausgangspunkt eine inhaltliche Rahmung vor. Das Besondere ist auch hier, dass Choreograf*innen zwar zu einem ähnlichen Thema arbeiten, aber mit ihrer eigenen Handschrift. Die Frage ist natürlich auch, was unter „politisch“ verstanden wird. Wir gehen jetzt nicht plakativ, mit unseren Themen um. Unsere Arbeiten beschäftigen sich nicht eindimensional, sie sind mehrfach lesbar. Diese Verbindung von Kunst- und Tanzgeschichte wurde natürlich schon von mir gesetzt, indem ich die Arbeiten „Skulpturen“ nenne, so auf parallele Entwicklungen verweise und eben auch die soziale Skulptur im Sinne von Beuys auf die Choreografie übertrage. Wir wecken das Bode-Museum vielleicht auch ein bisschen aus seinem Dornröschenschlaf. Es birgt wahnsinnige Schätze, seine Skulpturensammlung gehört zu den wichtigsten der Welt, jeder kennt das Bode-Museum, ein ikonisches Bauwerk, aber selbst viele Berliner haben es noch nie von innen gesehen, da dieser Tempel der Hochkultur viele auch einschüchtert. Selbst seine Architektur atmet Machtsymbolik. Es gibt viele Kriegerkörper im Museum und gerade Schlüters Reiterdenkmal im Eingangsbereich ist beeindruckend und in seiner Größe fast bedrohlich. Es verkörpert per se Macht. Ich glaube, wir nehmen vieles zu wenig hinterfragt hin, in diesen großen Museen, und das sollten wir nicht! Ein lineares Geschichtsverständnis, das brechen wir auf! Museen sollten zudem demokratisch, für alle zugänglich sein und es sollten hier auch neue Arbeiten entstehen. Die Museen gehören ja eigentlich uns, den Leuten, und so wollte es Bode auch: Sein Lebenswerk sollte für alle da sein. Genau das versuchen wir mit diesem Projekt zu erreichen, die konzeptuelle Trennung der Museumsinsel vom urbanen Raum zu durchbrechen und das wortwörtlich, denn wir verlassen sogar das Gebäude als Teil einer Arbeit… Mehr will ich noch nicht verraten, aber so viel vorweg: Es wird einigermaßen spektakulär!
Sind deine Arbeiten immer ortsspezifisch?
Ich würde sagen, meine Formate sind weniger site-specific als site-responsive. Sie stehen in komplexem Dialog mit dem Ort. So können sie auch Menschen verstehen, die nicht vom Tanz kommen oder sich tanzgeschichtlich auskennen. Diejenigen jedoch, die sich darauf einlassen, können verschiedene Anspielungen und Zitate lesen und die Verbindungen sind hier interessant.
Kann man als Laie die Theorie hinter den konzeptuellen Arbeiten verstehen?
Ich denke, dass vieles intuitiv zu verstehen ist. Auch wenn sich der konzeptionelle Hintergrund für Außenstehende vielleicht zunächst etwas trocken anhört, sollte das nicht abschrecken. Andererseits ist natürlich jeder eingeladen, sich mit den spannenden Knotenpunkten in Tanz- und Kunstgeschichte zu beschäftigen. Die Arbeiten selbst sind auf jeden Fall ganz und gar neuartig. Man darf also gespannt sein. Das Format gibt im Übrigen den Künstler*innen größtmögliche Freiheit, auch wenn es sich um commissioned works handelt. Aber ich habe Künstler*innen ausgesucht, von denen ich genau weiß, dass sie politisch bzw. konzeptuell arbeiten. Sie müssen sich nicht verbiegen für das Format, sondern können frei ihre Arbeit entwickeln. Es ist auch diese spezielle Arbeitsweise bei dem Projekt, die sich vom Theater unterscheidet, wo ja alles durchgetaktet ist. Das Improvisierte spielt für mich eine große Rolle. Ich unterscheide Tanz von Choreografie. Alle eingeladenen Mitwirkenden sind für mich konzeptuelle Künstler*innen, die mit Mitteln der Choreografie, wie ein Maler mit Farbe, ihre Ideen umsetzen. Ich stelle quasi die Ideen der Künstler aus, es sind Statements, Kommentare. Ich weiß schon, was die Künstler vorhaben, aber das Endergebnis sehe ich, wie beim letzten Festival, auch erst am Tag der Premiere. Für den Sonntag hat Kat Válastur eine komplexe feministische Arbeit geschaffen. Sie hat eine hölzerne klingende Skulptur gebaut, auf der 11 Tänzerinnen einen lauten Sound produzieren, der durch die Akustik der Basilika, des berühmten architektonischen Herzstücks des Museums, reflektiert wird. Zusätzlich haben die Tänzerinnen kleine Tonskulpturen an ihren Körpern befestigt, die bei der Bewegung Klänge erzeugen. Das Museum gerät also wortwörtlich in Schwingungen. Das Besondere an der Basilika ist, dass alle dort ausgestellten Kunstwerke von Männern geschaffen wurden. Kat Válastur spielt damit. Ihr Stück ist eine radikal minimalistische aber, wie immer, auch präzise durchdachte und bei allem sehr feine Arbeit. Ich schätze die Arbeiten von Kat Válastur sehr. Alle Arbeit die gezeigt werden sind soziale politische Skulpturen, aber auch im wörtlichen Sinne skulptural auf mehreren Ebenen.
Wie wird es denn mit deiner Reihe weitergehen? Wie man hört, hast du auchinternationale Projekte geplant.
Ja, es wird unter anderem in einem großen, wunderschönen Museum im Ausland eine Kooperation geben. Doch zunächst geht es weiter in Berlin im Bode Museum mit dem feministischen Aspekt von Choreographing Politics. Auch Kat Válasturs aktuelle Arbeit hat mit dem zweiten Teil meiner Reihe Female Gaze zu tun. Hier ist das Thema, die Skulpturengeschichte, männlich geprägt.
Deine Formate stehen im Dialog mit den Ausstellungen Klartext und der zweite Blick.
Ja, in diesen Ausstellungen beschäftigt sich das Museum kritisch mit der eigenen Geschichte und Sammlung. Aber natürlich völlig anders als wir, sie blicken zurück und geben neue Informationen, sie machen das auf Ihre Weise, die sehr wichtig ist. Wir versuchen neue Arbeiten zu schaffen, die das übliche Verständnis eines Museums verändern und eine neue Ebene hinzuzufügen und auch Reibung zu erzeugen.
Was ist der Hintergrund von Female Gaze, dem nächsten Teil der Serie?
Bei FEMALE GAZE wird reflektiert, dass in unserem globalen Verständnis unsere Frauenbilder auch durch berühmte Kunstwerke geformt wurden. Dabei sind fast alle diese Kunstwerke insbesondere Skulpturen, wie auch Canovas Tänzerinnen im Bode-Museum, natürlich von Männern geschaffen worden. Ein Museum gibt uns auch eine bestimmte Narration von Geschichte vor. Geschichte wird quasi in den Skulpturen eingemeißelt und formt unser Bild der Vergangenheit. Dass Skulptur auch andere Facetten hat, das wird durch den Tanz aufgedeckt – wir schaffen neue ungewohnte Frauenbilder durch die Choreografie. Und das machen wir laut. Das fängt bei der Arbeit von Kat Valastur am Sonntag an. Das Bode-Museum wird ein bisschen wackeln am Wochenende. Am Sonntag gibt es übrigens auch noch eine kleine After-Event-Party mit freiem Eintritt in den kleinen Kolonnaden. Da können wir dann in der Sommerhitze noch etwas weiter diskutieren…
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