Zwischen It-Piece und Klischee: Der Adidas-Trainingsanzug
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Das Kunstgewerbemuseum ist neuerdings um einen Klassiker der Freizeitmode reicher. Im Rahmen einer großzügigen Schenkung aus dem Nachlass der Modewissenschaftlerin Ingrid Loschek kam ein Original Adidas-Trainingsanzug von 1967 in die Sammlung.
Text: Magdalena Baader
Egal ob auf Bürgersteigen oder heimischen Sofas, auf Fußballplätzen oder Laufstegen: der Adidas-Trainingsanzug ist allgegenwärtig. Spätestens seit der Popularisierung von sportlich-legerer Athleisure-Kleidung ist der Jogginganzug Teil der Alltagskleidung von Berlin bis New York. Doch wie kam es dazu, dass eine deutsche Schuhfirma aus Herzogenaurach 1967 diesen internationalen Freizeitklassiker erfand?
Anlässlich einer großzügigen Schenkung aus dem Nachlass der deutschen Modewissenschaftlerin Ingrid Loschek an das Kunstgewerbemuseum kam kürzlich auch ein Adidas-Trainingsanzug von 1967 in die Sammlung. Der Anzug in Originalschachtel ist Zeuge der interessanten Ursprünge der Freizeit-Sportkleidung.
Grundsätzlich liegen die Ursprünge einer Vielzahl heutiger Bekleidungsstücke in der Sport- und Reitbekleidung, von Schuhabsätzen über Kostüme bis hin zu T-Shirts. Gerade ab den 1910er Jahren und dann verstärkt ab den 1940er Jahren galt dem Sport entlehnte Kleidung als modisch. Gestrickte Trikotware wurde schon Mitte des 19. Jahrhunderts für sogenannte Jersey-Leibchen von Sportler*innen verwendet und setzte sich dort gegen Ende des Jahrhunderts zunehmend durch. Ab den 1920ern gewann Strickkleidung in der Mode unter anderem durch Gabrielle Chanel an Bedeutung. Trainingsanzüge aus Baumwolltrikot, bestehend aus Jacke mit Reißverschluss und Gummibundhose, wurden ab den 1930er Jahren von Sportler*innen getragen. Wie der Name besagt, entstand der Anzug für Training und Warm-Up vor dem Sport. Er wärmt, hält die Muskeln flexibel und lässt sich schnell ausziehen, um die darunterliegende Sportkleidung freizulegen. Gerade bei Wettkämpfen ist der Trainingsanzug somit – bis heute – ideal, um eine ständige Bereitschaft der Athlet*innen für den Profisport zu garantieren. 1939 brachte Le Coq Sportif, ein französischer Sportbekleidungshersteller, le costume du dimanche auf den Markt – der Trainingsanzug als Sonntagsanzug. Durchsetzen konnte sich das Bekleidungsstück erst in den 1960er Jahren durch die neue Sichtbarkeit von Sport im Fernsehen, das Großereignisse wie die Olympischen Spiele übertrug und damit zunehmend ein Massenpublikum erreichte. Zum Standard in den Garderoben von Männern und Frauen gleichermaßen geriet der Trainingsanzug ab den 1970er Jahren. Ausgelöst durch die Fitnessbewegung in dieser Zeit transformierte sich das Sportbekleidungsstück allmählich zum Modeobjekt, das sich auch über den Sport hinaus in der Freizeit wachsender Beliebtheit erfreute. Nun gab es Trainingsanzüge aus Frottee, in den 1980ern kamen Techno-Shell- und Velour-Anzüge in Mode und in den 90ern hielten mit den Nikki-Anzügen von Juicy Couture die ersten Designer-Trainingsanzüge Einzug in die Mode.
Der ägyptische Basketballspieler Mohamed Rashad Shafshak in einem frühen Trainingsanzug bei der Olympiade in Berlin 1936. Wikimedia Commons: Von Scan: privat; Nutzungsberechtigt MoSchle, Retusche MagentaGreen, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=70824187
Zu Beginn dieses Freizeitsportbooms brachte Adidas seinen ersten Trainingsanzug auf den Markt. Schon Anfang der 1960er Jahre verhandelte Horst Dassler, Sohn von Firmengründer Adi Dassler und zu dieser Zeit Leiter von Adidas Frankreich, mit dem deutschen Bekleidungshersteller Georg Schwahn über die Produktion von Sportbekleidung, unter anderem von Trainingsanzügen. Zu diesem Zeitpunkt war Adidas als Marke von Sportschuhen international etabliert, vor allem im Bereich Fußball und Leichtathletik. Außer Schuhen produzierte die Firma seit 1952 auch Sporttaschen. Adidas Frankreich hatte in den 1960er Jahren außerdem einen Lizensierungsvertrag mit Le Coq Sportif abgeschlossen, durch den die Firma in Frankreich Sportbekleidung für Adidas herstellte und vermarktete. 1967 schließlich wagte der Mutterkonzern den Einstieg in die Sportbekleidung und brachte den adidas-3-Streifen-Trainingsanzug in verschiedenen Versionen heraus. Es ist dieses Modell, das alle folgenden Versionen des Trainingsanzugs prägen sollte – egal ob mit Streifen oder ohne. Noch im selben Jahr folgte die Vermarktung des Anzugs unter dem Namen Modell Franz Beckenbauer. Wie schon bei den Schuhen war eine enge Zusammenarbeit mit bekannten Sportler*innen Teil der Marketingkampagne, wofür diese einzelnen Modellen oder ganzen Kollektionen ihren Namen liehen. Neben dem ersten Trainingsanzug wurde unter anderem eine ganze Sporthosen-Kollektion nach Franz Beckenbauer benannt. Zielgruppe für die Anzüge aus Nylon-Baumwoll-Mischung waren nicht mehr nur Profisportler*innen, sondern auch Amateure, wie im Werbematerial sichtbar wird.
Auch Frauen und Kinder trugen nun Trainingsanzüge und wurden von Adidas angesprochen, das in seinen Katalogen besonders die modischen Aspekte seiner Sportbekleidung anpries. Neben dem Stammbereich Fußball, den Adidas seit seiner Anfangszeit in den 1920er Jahren bediente, war die Bekleidungslinie auf Multifunktionalität ausgerichtet. Mit dem deutsche Äquivalent der neuen Fitnesskultur, der „Trimm-Dich“-Bewegung, war das Lebensgefühl Sport in der Allgemeinbevölkerung angekommen. 1970 initiiert vom Deutschen Sportbund als Kampagne zur Förderung von Breitensport und Gesundheit, führte die Bewegung vor allem durch die Olympischen Spiele in München 1972 zum Erstarken des Freizeitsports. Als Ausstatter der Spiele führte Adidas 1971 das Dreiblatt-Logo ein, um die Sichtbarkeit der Marke mit den 3 Streifen zu erhöhen und den Kopien durch andere Firmen Einhalt zu gebieten. Angetrieben durch den Freizeitsport wuchs der Textilbereich bei Adidas im Laufe der 1970er Jahre auf fast die Hälfte des jährlichen Umsatzes an. Um diese Nachfrage zu decken, produzierte Adidas von Beginn an seine Kleidung nicht nur in Deutschland, sondern vor allem in Billiglohnländern wie Jugoslawien und Ungarn. Der Verkauf von Adidas-Produkten in den sozialistischen Staaten gestaltete sich allerdings schwierig, allen voran in der DDR, wo der im Westen boomende Konzern aus ideologischen Gründen nie Fuß fassen konnte.
Seit seinen Anfängen symbolisierte der Trainingsanzug ein neues Modell performativer Männlichkeit im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Konsum, zwischen aktivem Wettkampf und passivem Warten auf den Moment des Erfolgs. Für die Fitnesskultur der 1970er Jahre war der Trainingsanzug deshalb nicht nur aus funktionellen, sondern auch aus symbolischen Gründen ideal. In erster Linie hielt der Trainings- oder Jogginganzug beim damals neumodischen Joggen den Körper warm und schützte vor Wind und Wetter. Aber weil Joggen als lebensverlängernd angepriesen wurde, zeigte man(n) im Trainingsanzug auch Willensstärke, Verantwortungsbewusstsein und Kontrolle über seinen Körper und damit sein Schicksal. In den 1990er Jahren nahm die Beliebtheit des Trainingsanzugs weiter zu, ausgelöst durch den Fitnessstudio-Hype. Ganz nach dem Modell des Neoliberalismus wurde Freizeit jetzt zu einer Verlängerung der Arbeit, erwartet der oder die Fitnessstudiobesucher*in doch, diese Zeit für die Arbeit am Selbst und am eigenen Körper zu nutzen. Im Fitnessstudio wurde und wird Männlichkeit demonstriert durch kompetitiven Individualismus, der Trainingsanzug ein Zeichen von Zielstrebigkeit, Macht und Exzellenz.
Die Sache mit dem Hip-Hop …
Der Black power salute auf einem Graffiti von Richard Bell und Emory Douglas in Brisbane, Australien 2013. Wikimedia Commons: Von Kgbo – eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=29897678
Parallel zu diesen hegemonialen Männlichkeitsvorstellungen wiesen dem Trainingsanzug aber auch früh Minderheiten, besonders die afroamerikanische Bevölkerung, Bedeutung zu. Bei den Olympischen Spielen in Mexiko 1968 hatten die afroamerikanischen Läufer Tommie Smith und John Carlos auf dem Podium mit dem Black power salute gegen Rassismus in den USA protestiert und sich damit mit den zivilrechtlichen Demonstrationen in ihrem Heimatland solidarisiert. Wie alle Sportler trugen sie dabei Trainingsanzüge, die durch die in den Medien verbreiteten Fotos der Gesten in den 1970er Jahren Eingang in die afroamerikanische Kultur fanden. Der erfolgreiche Einstieg Adidas in das Basketballgeschäft in den 1970er Jahren popularisierte die Marke, ihre Schuhe und Trainingsanzüge weiter. In den 1980er Jahren adaptierte die Hip-Hop-Band Run-D.M.C. die damalige Straßenkleidung für ihre Bühnenauftritte, unter anderem mit Adidas-Schuhen und -Trainingsanzügen. Als Run-D.M.C. 1986 den Song „My Adidas“ über ihre Schuhe veröffentlichten, konnten sie sich ein millionenschweres Sponsoring mit Adidas sichern. Daraufhin wurden die Marke und ihre Produkte wichtiger Bestandteil der Anti-Mode des Hip-Hops, die Schuhe, die Marke und der Song erreichten schnell Kultstatus. Darryl „D.M.C.“ McDaniels, Mitglied der Band, erinnerte sich 2011 im Interview mit MTV:
„It was scary. We was going through Detroit, through Boston, through Chicago, through LA, through Virginia; every city we went to on the Raising Hell Tour, we would look out the back of the tour bus and everybody had the Adidas [track] suits from head to toe.“
Darryl „D.M.C.“ McDaniels
Run-D.M.C. in Adidas-Trainingsanzügen in Paris 1987. Wikimedia Commons: Von RickyPowell – eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16372810
„Es war beängstigend. Wir fuhren durch Detroit, durch Boston, durch Chicago, durch LA, durch Virginia; in jeder Stadt, in der wir auf der Raising Hell Tour waren, blickten wir hinten aus dem Tourbus und jeder war von Kopf bis Fuß im Adidas-Trainingsanzug unterwegs.“
Schlechte Presse und der große Erfolg
Gleichzeitig sammelte der Trainingsanzug einen immer schlechteren Ruf: Während die Casuals der britischen Hooliganszene mit ihren Adidas-Trainingsanzügen eher lokalen Einfluss hatten, entdeckte in den 1990er Jahren die amerikanische Mafia die Vorzüge der Sportanzüge für ihre Zwecke und machte den Trainingsanzug prompt zur inoffiziellen Uniform der organisierten Kriminalität. Zusätzlich gibt es laut der britischen Mode- und Textilexpertin Joanne Turney eine symbolische Verbindung zwischen Arbeitslosigkeit und dem Trainingsanzug: In der Sportbekleidung ist er jenes Kleidungsstück, in dem auf die sportliche Betätigung gewartet wird. Auch im Alltag, so schreibt Turney in ihrem Aufsatz „From Revolting to Revolting. Masculinity, the Politics and Body Politic of the Tracksuit“, markiere der Anzug eine potentielle Bereitschaft, baue Erwartungen auf eine noch unbekannte Auflösung der Situation auf. Wer Trainingsanzug trägt, der wartet laut Turney an den Rändern der Gesellschaft, entweder unsichtbar oder verdächtig. Dem (sportlichen) Wettkampf als Zeichen der Männlichkeit unterwirft er sich gerade nicht. Für Turney kann ein Trainingsanzug dementsprechend ein „non-power-dressing“ bedeuten. Das Klischee der Langzeitarbeitslosen im Trainingsanzug ist so verankert, dass es sowohl in Deutschland als auch international als stereotype Figurenbeschreibung funktioniert. Beispielhaft sind Ilka Bessin, seit 2000 als Cindy aus Marzahn im pinken (Adidas-)Trainingsanzug auf Comedy-Bühnen zu sehen, und Kate Moss, die 2006 in einem Gastauftritt der britischen Show Little Britain Trainingsjacke trug.
Der Karl Lagerfeld zugeschriebenen Äußerung zum Trotz, wer eine Jogginghose trage, habe die Kontrolle über sein Leben verloren, sind Trainingsanzüge heute ein Zeichen von Kontrolle und von Kontrolllosigkeit, beliebt bei hippen Teenagern, Sportfreaks, pflegebedürftigen Rentnern und Möchtegern-Rappern gleichermaßen. Wichtiger als das Kleidungsstück selbst ist die Performance des Tragens: wer wann, wie und wo Trainingsanzug trägt, ob als Erkennungszeichen einer Gruppe oder Abgrenzungssymbol für „das Andere“.
Der Adidas-Trainingsanzug von 1967, den das Kunstgewerbemuseum jetzt erhalten hat, erinnert an die Wandelbarkeit dieses Kleidungsstücks, aber auch an den Wandel der Gesellschaft in ihrem Verhältnis zum Trainingsanzug. War es in den 1960er Jahren noch undenkbar, Trainingsanzug außerhalb der Sporthallen zu tragen, ist er heute kaum aus unserem Alltag wegzudenken – trotz Imagezweifel und pikierter Modedesignern.
Loschek, Ingrid, Reclams Mode- und Kostümlexikon, Stuttgart 1994.
Markus, Hannah, Modesünde, Statussymbol, Stereotyp. Der Trainingsanzug, in: Kutschbach, Christine, Schmieder, Falko (Hrsg.), Von Kopf bis Fuß. Bausteine zu einer Kulturgeschichte der Kleidung, Berlin 2015, S. 307–312
Millar Fisher, Michelle, T-102: Tracksuit, in: Antonelli, Paola, Millar Fisher, Michelle (Hrsg.), Items. Is Fashion Modern?, New York 2017, S. 255-256.
Turney, Joanne, From Revolting to Revolting. Masculinity, the Politics and Body Politic of the Tracksuit, in: Turney, Joanne (Hrsg.), Fashion Crimes. Dressing for Deviance, London/New York 2019, S. 169–180.
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