„Gestaltung geht uns alle an“ Sibylle Hoiman im Kunstgewerbemuseum
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Im ersten Jahr als Direktorin des Kunstgewerbemuseums erlebt Sibylle Hoiman direkt große Umwälzungen. Wie geh sie damit um, ins kalte Wasser geworfen zu sein und was sind ihre inhaltlichen Visionen für das Haus? Im Interview spricht sie über Pläne und Herausforderungen.
Interview: Sven Stienen
Sie sind jetzt seit einigen Monaten als Direktorin im Kunstgewerbemuseum an Bord. Wie waren die ersten Monate für Sie?
Sibylle Hoiman: Es sind inzwischen zehn Monate und es fühlt sich an, als wäre ich schon viel länger da. Es gibt wahnsinnig viel zu tun. Zum einen stehen hier im Haus viele Veränderungsprozesse an und zum anderen läuft parallel auch der große Transformationprozess in der SPK, der uns gerade sehr intensiv beschäftigt.
Welche Transformationsprozesse laufen denn bereits in Ihrem Haus?
Ich verstehe das Kunstgewerbemuseum als ein Haus, das sich dem Thema Gestaltung umfassend widmet. Gestaltung bedeutet für mich also mehr als das Design einer Kaffeetasse oder eines Stuhls. Es geht auch um Architektur und Städtebau, um die soziale Dimension des Zusammenlebens und des Zusammenarbeitens, die gestaltet werden muss. Mit diesen Themen werden wir uns zukünftig verstärkt künstlerisch auseinandersetzen, aber wir werden sie natürlich auch selbst umsetzen. Ich denke, wir haben da eine Vorbildfunktion und wollen in unserem Haus, in unserem Team, beispielsweise neue Wege der Zusammenarbeit und des Miteinanders erproben.
Was bedeutet das konkret?
Wir müssen uns fragen: Ist das, was Kurator:innen heute machen, auch das, was sie noch morgen machen werden? Oder kommen bald ganz andere Aufgaben auf sie, auf uns alle zu? Die Vermittlung sollte zum Beispiel in Zukunft eine noch viel größere Rolle spielen, und sie wird unter anderem in die Arbeitsbereiche der Kurator:innen einfließen. Auch die Restaurator:innen und ihre Werkstätten, die wir hier glücklicherweise im Haus haben, müssen noch stärker in den Fokus rücken. Ihre Arbeit geschieht bisher überwiegend im Hintergrund, dabei ist sie völlig gleichwertig mit dem, was die Kurator:innen machen. Wir sind gerade als Team mit den unterschiedlichen Kompetenzen unglaublich stark. Ich möchte die Arbeitsvorgänge, die hier im Haus stattfinden, insgesamt transparenter für die Öffentlichkeit machen. Außerdem werden wir in Zukunft auch versuchen, neue Publikumsgruppen anzusprechen und sie stärker in unsere Arbeit einzubeziehen. Ich möchte auch gern einen Beirat mit jungen Erwachsenen etablieren, um zu erfahren, was sie interessiert, was sie sich wünschen und von einem Museum wie dem unsrigen erwarten. All das soll idealerweise verwertet werden und in unsere Arbeit einfließen.
Gibt es schon konkrete Projekte oder sind Sie momentan noch in der konzeptionellen Phase?
Derzeit befinden wir uns bei den meisten Themen noch in der konzeptionellen Phase. Ein vergleichsweise konkretes Projekt ist die Neugestaltung der Designabteilung. Ein Großteil dieser Sammlung ist magaziniert, d.h. nicht zugänglich; wir wollen die Stücke jetzt aus dem Depot holen und Stück für Stück aufstellen. Wir werden die Objekte zunächst reinigen, eine Revision der Inventarisierung vornehmen und sie dann in die vorhandene Ausstellung integrieren, diese erweitern, verändern, umbauen. Das Ganze ist als ein Prozess über einen längeren Zeitraum angelegt und wird das gesamte Team einbeziehen. Wir wollen über diese Objekte ins Gespräch kommen, intern, v.a. aber mit unserem Publikum.
Es gab in den letzten Jahren bereits viele Projekte am Kunstgewerbemuseum, die in diese Richtung gingen, man denke etwa an die Ausstellungen “Food Revolution” oder “Connecting Afro Futures” sowie die Design-Lab-Reihe. Waren das gute Anknüpfpunkte für Sie und werden einige dieser Projekte weitergeführt?
Was meine Kollegin Claudia Banz hier aufgebaut hat, sind wertvolle Grundlagen, an die wir anknüpfen werden. Die Förderungen für die alten Projekte sind mittlerweile leider alle ausgelaufen und wir steigen jetzt mit neuen Formaten ein. Claudia entwickelt gerade eine neue diskursive Plattform zu dem Thema „Posthumanismus und Design“, da können wir uns auf Workshops, Gespräche und Ausstellungen freuen. Das Verbindende an unseren unterschiedlichen Angeboten ist, dass es immer um Themen geht, die die ganze Gesellschaft bewegen. Gestaltung geht uns alle an, und darüber in den Diskurs zu kommen, ist genau das, was unser Museum leisten kann. Das Kunstgewerbemuseum ist kein klassisches Kunstmuseum, bei dem man entweder einen Zugang zu den Objekten hat oder nicht. Wer keinen Zugang zur Mode hat, die wir zeigen, der findet sich stattdessen vielleicht bei Themen wie Wohnen, Ernährung, kulturelle Rituale oder Glauben wieder, zu dem wir mit einzigartigen Kirchenschätzen und Goldschmiedearbeiten aus dem Mittelalter und der Renaissance beitragen können. Sie können vielleicht Auskunft darüber geben, warum das Thema für uns heute immer noch von Bedeutung ist. In dem Zusammenhang ist es mir auch wichtig zu betonen, dass wir uns mit den Themen nicht nur an ein wissenschaftliches Publikum richten, sondern wirklich in die Breite gehen und alle Menschen ansprechen wollen.
Fällt in diesen Bereich auch die regelmäßige Zusammenarbeit mit Hochschulen und Studierenden?
Absolut! Wir werden in jedem Fall die Zusammenarbeit mit den Gestaltungshochschulen weiter vertiefen.
Im Januar kam es bereits zu einer Kooperation mit der UdK, bei der Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen Konzepte zur Neupräsentation der Möbel aus Haus Lemke erarbeitet haben – die Ergebnisse sind so überzeugend, dass ich sie gerne umsetzen möchte.
Wir zeigen in unserer aktuellen Sonderpräsentation „Past Intelligence Givenchy. Uli Richter. Students.“, Modeentwürfe von Studierenden des Atelier Chardon Savard, Hochschule Macromedia Berlin, denen eine Auseinandersetzung mit Designentwürfen von Hubert de Givenchy und Uli Richter vorausgegangen war. Auch hier bin ich wieder sehr beeindruckt von der Qualität der Entwürfe.
Wir stehen in engem Kontakt zur Weißensee Kunsthochschule Berlin; im Sommersemester werde ich einen Lehrauftrag an der TU Berlin wahrnehmen, Claudia Banz vertritt das Kunstgewerbemuseum im Exzellenzcluster der HU Berlin – Sie sehen, es gibt zahlreiche Verbindungen mit den Hochschulen. Das hat eine gute Tradition: Die Kunstgewerbemuseen waren immer mit Schulen verknüpft, das war fester Bestandteil ihres Gründungsauftrags und daran knüpfen wir wieder an.
Sie haben das mittelalterliche Kunsthandwerk erwähnt. Wird es auch eine Neupräsentation des Mittelalterbreichs und des berühmten Welfenschatzes geben?
Wir werden den sogenannten Mittelaltersaal voraussichtlich im Frühjahr 2024 ausräumen und komplett umgestalten. Wir wollen die Kirchenschätze und die profanen Schätze des Mittelalters zukünftig spannungsreicher präsentieren, mit dem bedeutenden Welfenschatz im Zentrum.
Der Raum wird dann auch nicht mehr “Mittelaltersaal” heißen, weil wir die Sammlungen insgesamt nicht mehr vorrangig nach Epochen, sondern nach anderen Gesichtspunkten ordnen und präsentieren wollen.
Hier kommt die Architektur ins Spiel. Das Potenzial des Gebäudes wird nicht voll ausgeschöpft, und um das zu ändern, werden wir mit dem Mittelaltersaal starten, d.h. wir werden dort ausprobieren, wie man die ursprüngliche Raumhöhe durch Abnahme der abgehängten Decke wieder erlebbar machen kann, wie der Lichtschutz verbessert werden kann, wie vor allem die Klimatisierung angepasst werden kann usw. Die Lösungen und Ideen aus diesem Prozess – im besten Fall können wir hier zusammen mit der Haustechnik Standards entwickeln – wollen wir dann später auf das ganze Haus anwenden. Mir ist daran gelegen, dass wir der Architektur wieder zu ihrem Recht verhelfen und die Qualitäten, die ohne Zweifel vorhanden sind, wieder freilegen.
Das sind eine Menge Pläne. Was ist für Sie momentan das wichtigste Projekt oder Ziel?
Das zu beantworten fällt mir schwer, weil ich gerade an so vielen Sachen parallel arbeite, die alle wichtig sind. Für mich hat gerade Priorität, dass wir als Team gut zusammenfinden und vorankommen. In diesem Haus ist eine so enorme Fachkompetenz versammelt, das ist sehr beeindruckend, und die möchte ich weiter fördern und sichtbar machen. Besonders wichtig ist mir darüber hinaus, dass wir Verantwortung in Bezug auf die Bewältigung der Klimakrise übernehmen. Wir haben einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Katastrophe und müssen endlich ins Handeln kommen, d.h. schlicht und ergreifend weniger Energie verbrauchen. Für mich ist das auch eine Frage von Gestaltung: Wie wollen wir in Zukunft alle auf diesem Planeten (über)leben? Wir erarbeiten gerade ein Konzept, das zur erheblichen Einsparung von Energie führen wird – dazu erzähle ich Ihnen gerne mehr im nächsten Interview!
Gibt es etwas, das Ihnen in Bezug auf das Kunstgewerbemuseum als Haus wichtig ist?
Mein Wunsch ist es, dass das Kunstgewerbemuseum wieder die Bedeutung im Verbund der Staatlichen Museen zu Berlin und der SPK bekommt, die es mal hatte. Wir decken eben diesen Bereich dreidimensionaler Objekte über so eine enorme Zeitspanne ab, die eine hohe Anschlussfähigkeit an gesellschaftliche Themen bieten, und damit ergänzen wir ganz wunderbar diesen Zusammenschluss. Zudem sind wir, was viele nicht mehr wissen, eines der ältesten Berliner Museen und auch das Mutterhaus mehrerer anderer Einrichtungen. So ist zum Beispiel die Kunstbibliothek aus unserer Sammlung hervorgegangen und auch die Universität der Künste ist eng mit dem Kunstgewerbemuseum verbunden: 1924 wurde die mit dem Museum zusammengehörige Kunstgewerbeschule mit der akademischen Hochschule für die bildenden Künste fusioniert. Das Islamische Museum verdankt seine Existenz bzw. den Grundstock der Sammlung dem Kunstgewerbemuseum, usw. Diese Dinge sind in Vergessenheit geraten und ich möchte das gern wieder ins Bewusstsein rufen. Darüber hinaus ist ein weiterer wichtiger Prozess natürlich die Neuausrichtung des Kulturforums, an dem derzeit alle Anrainer beteiligt sind. Ich habe eine Vision für unser Haus und für das Ensemble am Kulturforum und ich hoffe, dass wir in dieser Frage in den nächsten Jahren ebenfalls gute Fortschritte machen werden.
In welche Richtungen denken Sie da?
Die Begrünung des Kulturforums ist für mich einer der Hauptpunkte. Meines Erachtens müssen wir hier vor Ort dringend eine bessere Aufenthaltsqualität schaffen und dafür stellt eine Begrünung einen wichtigen ersten Schritt dar. Ich würde auch gerne eine nicht realisierte Fußgängerbrücke, die Rolf Gutbrod im Kontext unseres Museums geplant hatte, und Tiergarten und Kulturforum ursprünglich verbinden sollte, gemeinsam mit Studierenden neu denken und hoffentlich eines Tages tatsächlich bauen. Rückbau ist allerdings auch ein Thema, und das betrifft die Piazzetta. Sie ist leider völlig dysfunktional und bereitet uns viele Sorgen: Zum einen verstellt das Kunstwerk den Eingang zum Kunstgewerbemuseum, zum anderen gibt es viele bauliche Mängel, die sich ungünstig auf unseren Museumsbetrieb auswirken. Hier besteht dringender Handlungsbedarf!
In all diesen Überlegungen zur Belebung und Begrünung des Kulturforums steckt ganz viel Potenzial und ich hoffe, dass wir alle hier am Kulturforum diese große Chance nutzen.
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