Alter Sound neu vertont: Die magische Glocke im Pergamonmuseum
Lesezeit 6 Minuten
Ein Projekt des Vorderasiatischen Museums und der Universität
Würzburg bringt eine mesopotamische Glocke wieder zum Klingen – und
erlaubt einen neuen Blick auf Kompositionen und Verwendung von Musik in
der Antike.
Text: Dahlia Shehata – Nadja Cholidis – Gert Jendritzki
Glocken,
Schellen oder Rasseln sind keine moderne Erfindung. Aus Ton oder Bronze
gefertigt dienten sie schon in der Antike vielfältigen Zwecken. Ein gut
erhaltenes Beispiel einer antiken Glocke befindet sich heute im
Pergamonmuseum. Offenbar besaß sie eine magische Funktion, wie Figuren
auf dem Gefäßkörper und der Klöppel in Form einer Schlange zu erkennen
geben. Bei einem kleinen Experiment im Vorderasiatischen Museum,
initiiert durch die Sonderschau „MUS-IC-ON! Klang der Antike“, wurde die
Glocke nun wieder zum Klingen gebracht.
Die
Musik der alten Kulturen, ob aus dem antiken Griechenland, aus Rom, aus
dem alten Ägypten oder wie hier aus dem Zweistromland ‒ Mesopotamien ‒
ist unwiederbringlich verklungen. Experimentelle Musikarchäologen
versuchen, zumindest ihre Klänge zu rekonstruieren, indem sie antike
Musikinstrumente nachbauen, Musikensembles nachstellen oder die in
Mesopotamien und Griechenland bezeugten Frühformen einer Musiknotation
entschlüsseln.
Unser heutiges Wissen zu den Musikkulturen
Mesopotamiens beruht ausschließlich auf archäologischen Artefakten:
Bilder in Stein oder Ton, etwa auf Rollsiegeln oder assyrischen
Palastreliefs, präsentieren eine Vielfalt an Formen damaliger
Musikinstrumente, aber auch ihre Spieltechniken und Spielkontexte. Wir
sehen dort Harfen, Leiern und Lauten, wie sie auch heute noch in
afrikanischen Kulturen gespielt werden, aber auch ungewöhnliche
Instrumente wie große Rahmentrommeln und Kastenleiern (Foto VA 953). Die
Bilder zeigen auch, welche Personengruppen im Laufe der verschiedenen
altorientalischen Epochen beispielsweise die Lauten spielten und in
welcher Weise. Tatsächlich spielten bei Kultfesten offenbar nur Männer
die Laute, sehr häufig kleinwüchsige und krummbeinige ’Männlein‘, die
wohl zum Gefolge der Liebesgöttin Ischtar gehörten. Erst unter
griechischem Einfluss zur Zeit der Seleukiden (3.‒2. Jh. v. Chr.) werden
vermehrt Frauen, wahrscheinlich Priesterinnen, beim Lautenspiel
abgebildet. Aus verschiedenen Keilschrifttexten, darunter alltägliche
Dokumente wie Briefe und Ausgabenlisten, aber auch mythologische und
poetische Werke, erfahren wir den jeweiligen Hintergrund und Zweck des
Musizierens. Die Texte berichten, ob ein Musiker am Palast beim König
oder im Tempel vor den Göttern musizierte oder welche Lieder zu welchen
Anlässen gesungen wurden. Schließlich erhalten wir hier auch Einblicke
in die Tonsysteme. Zwar ist die Musik der Antike längst verklungen, doch
lässt sich aus all diesen Quellen trotzdem ein vielfältiges und
reichhaltiges Bild von den Musikkulturen Mesopotamiens zeichnen.
Musik
kam damals eine herausragende Rolle zu. Als ein akustisches Medium, das
von allen Teilen der Bevölkerung verstanden wurde, ob Mann oder Frau,
ob jung oder alt, war sie ein integratives Mittel der Kommunikation. So
begleiteten musikalische Klänge alle Stationen und Bereiche des Lebens
wie Geburt, Hochzeit und Tod. Musik war ein zentraler Bestandteil des
rituellen Geschehens. Bei religiösen Handlungen, beim Opfer oder bei
Festen erklang sie zu Ehren der Götter. Musik war deshalb auch mehr als
bloße Untermalung: Über das Medium des Klangs zwischen irdischer und
himmlischer Sphäre wurden Zusammenhänge, Gefühle und Visionen vermittelt
und abgespeichert. Den öffentlichen Räumen und Anlässen standen private
und intime Musikdarbietungen gegenüber, z. B. bei der Krankenheilung,
wo Musik zur Vertreibung, aber auch Versöhnung krankheitsbringender
Dämonen zum Einsatz kam.
Originale
Musikinstrumente sind aus dem Zweistromland nur wenige erhalten. Unter
den spektakulären und kostbar dekorierten Leiern und Harfen, die 1928
von dem britischen Archäologen Leonard Woolley auf dem königlichen
Friedhof von Ur ausgegraben wurden, oder den vielen Glöckchen und
Pfeifen aus Ton, bleibt die neuneinhalb Zentimeter große Glocke doch
einzigartig. Der fein ornamentierte Glockenkörper wurde gegossen. In die
vorgegossenen Aufnahmeösen am oberen Ende der Glocke ist ein
geschmiedeter vierkantiger Haltebügel montiert worden. Der vorgegossene
Klöppel der Glocke wurde ebenfalls überschmiedet. Seine Aufhängung
erfolgt durch einen im Inneren des Glockenkörpers quer verlaufenden
Draht. Vor allem aber zeigt uns ein Relieffries auf der Außenseite der
Glocke genau, wofür sie benutzt wurde: Wir sehen einen Gott,
löwenköpfige Dämonen mit Dolchen in ihrer erhobenen Rechten und einen
Fischmenschen. Ihre Namen kennen wir aus den entsprechenden Ritualen: Es
sind der Gott Lulal mit seinen Begleitern, der reinigende und
vorsintflutliche Weise, der Fischmensch apkallu, und der gleich einem
Sturm dröhnende Löwenmensch ugallu. Sie sind es, die in
Heilungszeremonien gegen üble Krankheitsdämonen zu Hilfe gerufen wurden,
was den Schluss nahelegt, dass unsere Glocke bei Heilungszeremonien zum
Einsatz kam.
Die
Glocke mit der Inventarnummer VA 2517 wurde 1887 von dem Ägyptologen
Adolf Erman für die Königlichen Museen zu Berlin erworben. Der noch
junge Direktor der Ägyptischen Abteilung musste die Sammlung
vorderasiatischer Altertümer bis 1899, dem Gründungsjahr des
Vorderasiatischen Museums, mitbetreuen, was ihm trotz fehlender
Fachkenntnisse auf beeindruckende Weise gelang. Das Inventar nennt als
Verkäufer Rollin & Feuardent mit Sitz in Paris. Claude Camille
Rollin und Félix Feuardent boten zwar hauptsächlich Münzen an, aber auch
Antiken wie diese Glocke, die vielleicht aufgrund ihrer Prägung das
Interesse der Kunsthändler geweckt hatte. Motive und Ausführung sprechen
für eine Datierung des seltenen Stückes in das 8./7. Jahrhundert v.
Chr. Auf welchen Wegen oder Zwischenstationen das kleine Meisterwerk,
das sicher in Assyrien (Nordirak) gefertigt wurde, nach Paris gelangte,
ist nicht vermerkt.
Während der Klang der originalen Glocke
mithilfe von Gert Jendritzki und Lutz Martin vom Vorderasiatischen
Museum rekonstruiert und für den Audioguide der Würzburger Ausstellung
zur Verfügung gestellt werden konnte, verwendeten ihn Studierende von
Oliver Wiener, einem Musikwissenschaftler der Universität Würzburg, für
eine neue, eigenständige Komposition. Der experimentelle Sound entstand
für „MUS-IC-ON! Klang der Antike“ im Mai 2020 am Institut für
Musikforschung der Universität Würzburg. Beteiligt am dort gestarteten
Projekt ATHYRMA, elektroakustisches Environment, waren die Studierenden
Corinna Bongartz, Hendrik Engstler, Jonas Maier, Julian-Rocco Lepore,
Justus Reim, Miriam Fodil, Oliver Wiener, Sandra Jodlowski.
Ein Youtube-Video gibt URUDU-NIGKALAGA, einen alten Sound mit neuem Klangerlebnis, wieder.
Die Würzburger Ausstellung „MUS-IC-ON! Klang der Antike“
ist noch bis zum 4. Oktober 2020 im Martin von Wagner Museum zu sehen.
Aktuell ist die Glocke in der Sonderschau „Zwischen Kosmos und Pathos.
Berliner Werke aus Aby Warburgs Bilderatlas Mnemosyne“ in der
Gemäldegalerie am Kulturforum ausgestellt.
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