Die Ausstellung „Schliemanns Welten“ des Museums für Vor- und Frühgeschichte widmet sich dem wendungsreichen Leben des berühmten Archäologen Heinrich Schliemann. Vor allem die Leihgaben machen die Ausstellung so besonders – sie stammen aus dem Ausland, aber auch von anderen SPK-Einrichtungen.
Eine imposante Erscheinung: Mit ernstem und entschlossenem Blick schaut der junge Heinrich Schliemann am Betrachtenden vorbei. Auf dem Kopf trägt der spätere Entdecker Trojas einen großen Zylinder, seinen Körper umhüllt ein riesiger, fast schon komisch wirkender Pelzmantel. Das Foto entstand am 11. August 1860, mitten im Sommer, in Sankt Petersburg. Der körperlich kleine, nicht einmal 1,60 Meter große Schliemann präsentiert sich hier als hochangesehener Würdenträger und reicher Großkaufmann. Doch dieser große wirtschaftliche Erfolg war ihm nicht in die Wiege gelegt. Alles hat er seiner eigenen Tatkraft, seinem Mut, seiner Intelligenz und seiner Unerschrockenheit zu verdanken. Um Schliemann zu verstehen, reicht es nicht, nur auf seine bis heute so bekannte archäologische Tätigkeit zu schauen – in der Zeit davor lassen sich im erfolgreichen Kaufmann, im unerschrockenen Weltreisenden und in seiner rastlosen Tätigkeit schon viele Wesenszüge entdecken, die den Ausgräber von Troja und Mykene prägen.
Zunächst verschlug das Schicksal den 1822 geborenen Mecklenburger mit 19 Jahren nach Amsterdam, wo er Kaufmann wurde und begann, Sprachen zu lernen. Es folgte der sehr lukrative Aufenthalt als Kaufmann in Russland. Während seiner russischen Jahre unternahm er sogar noch einen Abstecher nach Amerika, im legendären kalifornischen Goldrausch Anfang der 1850er Jahre verdoppelte er sein Vermögen – nicht als Goldgräber, sondern als Banker. Als mehrfacher Millionär verlor der Mitvierziger das Interesse am Kaufmannsberuf und suchte neue Herausforderungen. Seine Reisen in Kutschen und auf Reittieren, mit Schiffen und mit der Bahn, führten ihn durch ganz Europa, den „Orient“, und schließlich nach Indien, China und Japan. Gerade letztere beeindruckten ihn dermaßen, dass er bereits auf der Rückfahrt über den Pazifik einen Reisebericht verfasste und auf Französisch in Paris veröffentlichte. All dies geschah, bevor Schliemann sich der Archäologie zuwendete. Erstmals nimmt nun anlässlich seines 200. Geburtstages das Museum für Vor- und Frühgeschichte mit der Ausstellung „Schliemanns Welten“ das gesamte aufregende Leben des berühmten Archäologen in den Blick.
Für die Ausstellung gibt es keinen besseren Ort als Berlin
„Wir wollten Schliemanns außergewöhnliche Biografie in der Ausstellung würdigen“, sagt Matthias Wemhoff, der Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte. „Er bereiste die ganze Welt, wechselte mehrmals die Nationalitäten und schrieb Reiseberichte. Anhand seines Lebens können wir einen ganzen Kosmos des 19. Jahrhunderts zeigen.“ Für eine solche Ausstellung, so ist sich Wemhoff sicher, gibt es keinen besseren Ort als Berlin: „Wir haben so eine Vielfalt an Sammlungen und Expertisen hier vor Ort, das ist in dieser Dichte einmalig in Deutschland. Bis auf unseren Hauptleihgeber, das griechische Nationalmuseum in Athen, von dem wir die wertvollen Funde aus Mykene bekommen haben, haben wir für diese Ausstellung hauptsächlich mit Leihgebern innerhalb der Staatlichen Museen zu Berlin und weiteren Einrichtungen der SPK zusammengearbeitet.“
Eines der inspirierenden Objekte, die im ersten Teil der Ausstellung Schliemanns Stationen vor der Archäologie zeigen, ist der erwähnte Mantel. Das Original ist leider nicht erhalten, doch ein sehr ähnlicher Mantel aus derselben Zeit wird in der Ausstellung gezeigt. Dieser sogenannte „Schlittenmantel“ aus Bärenfell, hergestellt um 1850, stammt aus dem Kunstgewerbemuseum. „Solche Mäntel wurden getragen, um sich während der damals üblichen Schlittenfahrten im russischen Winter die eisigen Temperaturen vom Leib zu halten“, erklärt Wemhoff. Die Schlittenmäntel wurden über dem eigentlichen Mantel getragen und waren Zeichen des Wohlstandes: Ein Bärenfell konnte sich nur leisten, wer betucht war – so wie der gewitzte Kaufmann Schliemann.
Doch auch von anderen Stationen aus dem Leben des Weltenbummlers gibt es zahlreiche beispielhafte Exponate in der Ausstellung. Auf seinen ausgedehnten Reisen beeindruckten Schliemann besonders China und Japan, weil dort alles völlig anders war als in Europa. Auf seiner 50-tägigen Rückreise per Schiff im Jahr 1866, fasste er seine Tagebucheinträge zu China und Japan zu einem Buch mit dem Titel „La Chine et le Japon au temps présent“ zusammen und ließ es 1867 auf eigene Kosten publizieren. Das Buch ist als Reisebeschreibung verfasst und schildert den Alltag und die Begebenheiten sowie Objekte und Zeremonien, die Schliemann in Asien erlebte. Die Weltreise und die von Schliemann beschriebenen Objekte und Zeremonien werden im Ausstellungsteil „Auf zu neuen Ufern – Schliemanns Weltreise 1864–66“ gezeigt. Die hier gezeigten Exponate stammen zum großen Teil aus den Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst und wurden in enger Zusammenarbeit mit den dortigen Fachleuten aufgespürt und für die Ausstellung vorbereitet.
Schliemanns Buch diente als Grundlage für Recherche
Henriette Lavaulx-Vrécourt, Kuratorin für den Ost- und Nordasiatischen Raum im Ethnologischen Museum, betreute die Kooperation in Dahlem. „Schliemanns Buch, das in der Staatsbibliothek vorhanden war, diente als Grundlage für unsere Recherche“, erinnert sich die Ethnologin. „Die Idee der Ausstellungsmacher im Museum für Vor- und Frühgeschichte war es, Schliemanns Eindrücke von der Reise mit Zitaten aus dem Buch sowie Szenografien und passenden Objekten aus unserer Sammlung zu veranschaulichen.“
Erste Gespräche zwischen den Teams aus den Museen begannen schon im Februar 2020. Ausgehend von den Reisebeschreibungen Schliemanns und mit Hilfe der Kuratorin Susanne Kuprella aus dem Museum für Vor- und Frühgeschichte stellte Henriette Lavaulx-Vrécourt zunächst eine Liste mit knapp hundert möglichen Objekten und historischen Fotos zusammen, die in den lokalen und zeitlichen Rahmen der Weltreise passten. Sie umfasste Objekte, die aus China oder Japan um 1865 stammten und von Schliemann in seinem Reisebuch erwähnt wurden. „Susanne Kuprella und ich wollten eine gute Mischung von kleinen und auch größeren Objekten, wie zum Beispiel eine chinesische Schubkarre und eine japanische Sänfte, Textilien, historische Fotos, Holzschnitte, Malereien und sonstige Gegenstände wie Porzellan und Spielzeug.“
Die chinesischen Schubkarren wurden von Schliemann in seinem Buch explizit erwähnt: „Überall begegnet man diesen langen, findig gebastelten chinesischen Schubkarren, die das Rad nicht vorne, wie in Europa, sondern in der Mitte haben, auf denen aber ein Mann mit Leichtigkeit sechs volle Wasserkörbe befördern kann.“ Ein glücklicher Zufall wollte es, dass genau so eine Schubkarre sich auch in der Sammlung des Ethnologischen Museums befindet – sie wurde aufbereitet und ist nun in der Ausstellung zu sehen.
Ein pompöser Umzug mit Baldachin und Fahnen
„Neben dieser obskuren Bemerkung über die chinesischen Schubkarren schreibt Schliemann auch über eine weitere Begegnung, die mich sofort faszinierte“, erinnert sich Matthias Wemhoff. „Er hatte in China einen Begräbnisumzug gesehen, der ihn sehr beeindruckt hat. Detailliert beschreibt er den pompösen Umzug mit vielen Teilnehmenden, einem gewaltigen Schrein, einem schmuckvollen Baldachin und Fahnen. Wir wollten das unbedingt in der Ausstellung zeigen.“ Henriette Lavaulx-Vrécourt und Susanne Kuprella entdeckten tatsächlich in der Sammlung des Ethnologischen Museums ein zeitgenössisches Model eines solchen Umzugs, das vorher noch nie gezeigt worden war. Das rund 160 Figuren umfassende Modell aus China wurde, nach ausführlichen Recherchen zur Objektgeschichte, für die Präsentation mit zusätzlichen Figuren aus dem Depot neu zusammengestellt und montiert. „Dank der Finanzierung im Rahmen der Ausstellung und vor allem dank des umsichtigen und geduldigen Vorgehens der Restauratorinnen kann der Begräbnisumzug nun erstmals in voller Länge ausgestellt werden”, erklärt Lavaulx-Vrécourt.
Neben diesen Objekten sind in der Ausstellung zahlreiche weitere Zeugnisse der Zeit Schliemanns zu sehen, von Gewändern und Handelswaren bis hin zu Münzen aus dem kalifornischen Goldrausch, die aus der Sammlung des Münzkabinetts stammen. „Dass wir diese vielen Leihgaben unkompliziert und auf kurzen Wegen gewinnen konnten, ist wunderbar und macht die Ausstellung zu einem sehr besonderen Gang durch Schliemanns Biografie“, sagt Matthias Wemhoff. „Wir konnten auf das Know-How ganz vieler spezialisierter Sammlungen zurückgreifen, die zu allen Themen gut zusammenarbeiten können. Und ich hatte den Eindruck, dass alle Beteiligten großen Spaß an dieser Zusammenarbeit hatten. Das schafft tragfähige Verbindungen, die wir auch in zukünftigen Projekten wieder suchen werden.“
„Eine sehr fruchtbare und großartige Kooperation“
Auch für Henriette Lavaulx-Vrécourt und das Team des Ethnologischen Museums war die Zusammenarbeit ein Erfolg. „Wir haben fast zwei Jahre lang gemeinsam Objekte gesichtet und Listen erstellt – es war ein langer Prozess“, erinnert sie sich, „aber am Ende war es eine sehr fruchtbare und großartige Kooperation. Es macht uns besonders stolz, dass die Begräbnisgruppe restauriert und nun erstmals ausgestellt werden kann. Die Zusammenarbeit mit den Restauratorinnen und Restauratoren war toll.“
Das Ergebnis überzeugte nicht nur die Macher:innen der Ausstellung – inzwischen haben bereits über 100.000 Menschen die Schau gesehen und sie wurde bis zum 8. Januar 2023 verlängert. Wer also mehr über den Menschen Heinrich Schliemann und seine spannende Zeit erfahren möchte, sollte die Gelegenheit nutzen und nicht bis zum 250. Geburtstag warten.
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