Mit Augenmaß: Vermessen und Zeichnen während einer historischen Ägypten-Expedition
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Wie konnten die Ägyptologen des 19. Jahrhunderts exakte Karten und Zeichnungen der Fundorte erstellen? Anne Grischek, studentischen Hilfskraft am Ägyptischen Museum, erklärt die Methoden der Pioniere.
Text: Anne Grischek
Das iPhone an die Drohne schnallen und damit Luftaufnahmen über Giza machen? „Herausforderung angenommen!“, hätte Georg Erbkam gesagt, wenn es zu seiner Zeit schon Smartphones gegeben hätte. Aus Erbkams Hand stammen beeindruckend genau und detailreich gezeichnete Pläne des Pyramidenfeldes von Giza, des Karnak-Tempels in Luxor und vieler weiterer archäologischer Stätten und Monumente (Abb. 1). Er war Architekt und Landvermesser, der für die von Richard Lepsius geleitete preußische Expedition nach Ägypten 1842–1845 die Bauwerke aufnahm und ihre Lage in der Landschaft als Geländeplan festhielt. So vermaß, zeichnete und kartografierte er riesige Flächen. Aber wie hat er das bewerkstelligt, in einer Zeit, als die Fotografie gerade erfunden, aber für die ägyptischen Verhältnisse noch nicht einsatzfähig war und man noch kein digitales 3D-Modell der Gegend erstellen konnte?
Betrachtet man die Details der „Gedächtnisstele“ von Otto Georgi aus dem Jahr 1844 (Abb. 2), fallen einige Arbeitswerkzeuge auf, die die Expeditionsteilnehmer in Händen halten. Der Theologe Heinrich Abeken beispielsweise wird mit einem Fraunhofer Teleskop vor dem Auge gezeigt (Abb. 3), während der Architekt Georg Erbkam mit dem Messstab an einer Säule zugange ist (Abb. 4).
Maßband, Kompass und Messtisch
Erbkams grundlegende Werkzeuge zur Vermessung waren Maßband, Kompass und Messtisch, auf welchem die Zeichenblätter fixiert wurden. Auf der Tischplatte war eine sogenannte Kippregel (Abb. 5) angebracht: ein Lineal, aus dessen Mitte eine senkrechte, drehbare Stange ragt, an welcher parallel zum Lineal ein nach oben und unten schwenkbares Fernrohr befestigt ist. Aber wie arbeitet man damit? Um eine Fläche zu vermessen und sie in einem Plan darzustellen, visiert man von einer erhöhten Position aus zuerst markante Zielpunkte in der Landschaft an, zum Beispiel eine Pyramide, und zeichnet mit dem parallel zum Fernrohr montierten Lineal der Kippregel die einzelnen Visierlinien auf dem Papier ein (Abb. 6).
Wenn man den Vorgang mit einem zweiten Zielpunkt wiederholt, ist der Winkel zwischen dem Standpunkt und den beiden Zielpunkten bestimmt. Die Strecke zu den angepeilten Zielen wird anschließend abgeschritten und diese Distanz anhand des individuellen Schrittmaßes in Meter umgerechnet (Abb. 7). Auch heute noch ist das Abschreiten ein bewährtes Verfahren zur Streckenmessung und wesentlich genauer als mit langen Maßbändern zu hantieren. Über das Abschreiten des Pyramidenfeldes von Giza schrieb Erbkam: „Diese Arbeit hat mich mehrere Wochen beschäftigt und das ganze Terrain so gründlich kennen gelehrt, dass ich mehr denn irgendeiner darauf Bescheid weiß.“
Für kleinere Distanzen bei der Gebäudevermessung reichte das Maßband als Hilfsmittel aus. Die Skizze mit den Maßen einer Struktur wurde schließlich in eine Reinzeichnung übertragen. In der Publikation der „Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien“ wurden in den Zeichnungen auch die entsprechenden Messverfahren angegeben.
Geheimnisvolle Camera Lucida
Georg Erbkam erarbeitete nicht alle Gelände- und Gebäudepläne neu, sondern nutzte auch frühere Publikationen als Ausgangspunkt für seine Arbeiten. Dabei fiel ihm besonders auf, wenn in den Zeichnungen zerstörte Bereiche der Architektur zeichnerisch rekonstruiert oder ergänzt waren. Er selbst differenzierte in seinen Zeichnungen genau zwischen archäologischem Bestand, plausibler Rekonstruktion und hypothetischer Ergänzung. Das dokumentierende Zeichnen ermöglicht es der Archäologie und Bauforschung bis heute, die Geschichte der aufgenommenen Gebäude wertneutral nachzuvollziehen.
Für das Zeichnen von architektonischen Strukturen in ihrer landschaftlichen Einbettung kam den Expeditionszeichnern ein weiteres Hilfsmittel zugute: die Camera Lucida (Abb. 8). Sie ist ein handliches optisches Instrument, welches erst 1808 patentiert wurde und bis heute genutzt wird. Es fand sowohl bei Künstlern Verwendung wie auch beim wissenschaftlichen Dokumentieren, vor allem am Mikroskop. Die Camera Lucida wird an den Zeichentisch geklemmt und der höhenverstellbare Arm über dem Zeichenblatt positioniert. An seinem oberen Ende befindet sich ein Prisma, durch das man auf das Objekt blickt. Die Lichtbrechung im Prisma bewirkt eine optische Illusion, bei der die zeichnende Person das Objekt auf dem Zeichenblatt sieht und es schnell und präzise nachskizzieren kann (Abb. 9).
So muss das Auge nicht immer zwischen Objekt und Zeichenblatt hin und her schweifen, was den Prozess verlangsamt und Ungenauigkeiten provoziert. Mit Sorgfalt zu zeichnen kostete natürlich Zeit und Manpower. In der Sonderausstellung im Neuen Museum über die Expedition an den Nil können Besucher*innen das Zeichnen mit der Camera Lucida auch einmal selbst ausprobieren. So kann man sich ein Stück weit in die Arbeitswelt der Maler und Zeichner des Expeditionsteams hineinversetzen, die große Ausdauer bei ihrer Arbeit bewiesen, wie Erbkam es schon beschrieb: „Wie sie am frühen Morgen auszogen, so kehrten unsere vier Zeichner jeden Abend mit sinkender Sonne, ihre Mappe unter dem Arm, aus den verschiedenen Gräbern heim.“
Die Geschichte der Ägyptenexpedition von 1842-1845 steht im Mittelpunkt der Sonderausstellung „Abenteuer am Nil. Preußen und die Ägyptologie 1842-45“ des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung, die vom 15.10.2022 bis 7.3.2023 im Neuen Museum gezeigt wird. Alle weiteren Infos dazu auf der Webseite zur Ausstellung.
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