Rettung aus den Trümmern: Gertrud Dorka und das Museum für Vor- und Frühgeschichte
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Ohne Gertrud Dorka wäre das Museum für Vor- und Frühgeschichte in seiner heutigen Form undenkbar. Anlässlich ihres 130. Geburtstags stellen wir die erste Direktorin des Museums vor, die mit Mut und Selbstbewusstsein dessen Wiederaufbau ab 1947 anstieß.
Text: David F. Hölscher
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag Berlin in Trümmern –auch die Museen der Stadt hatten den Krieg nicht unbeschadet überstanden. Das Museum für Vor- und Frühgeschichte verdankt seine Wiedergeburt nach dem Krieg einer Frau: Gertrud Dorka. Die erste Direktorin des Museums leitete den Wiederaufbau ein und trug Teile der durch den Krieg weit zerstreuten Sammlung erneut zusammen. Besonders geehrt wurde Gertrud-Dorka zu ihrem 80. Geburtstag mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande und 1996 posthum mit einem Straßennamen im Ortsteil Rudow des Berliner Bezirks Neukölln, dem „Gertrud-Dorka-Weg“. Anlässlich ihres 130. Geburtstags am 19. März stellen wir die engagierte Wissenschaftlerin und ihre Verdienste vor.
Gertrud Dorka war von 1947 bis 1958 Leiterin des „Ehemals Staatlichen Museums für Vor- und Frühgeschichte Berlin“ – ehemals staatlich, weil der Staat Preußen am 25. Februar 1947 aufgelöst worden war. Sie übernahm ihr Amt in einer schwierigen Zeit. Zwei Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs prägten Unsicherheit und Mangel sowohl den Alltag als auch die Museumsarbeit. Dorkas Vorgänger Josef Allmang, dem ersten Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte nach dem Krieg, war es in seiner kurzen Amtszeit nicht gelungen, die Sammlung und die Strukturen des Museums wiederaufzubauen. Doch anders als der Kunsthistoriker Allmang, brannte Dorka für die Vor- und Frühgeschichte und machte sich unermüdlich daran sowohl die Sammlung als auch die Bibliothek des Museums neu aufzubauen.
Den Eintritt in die NSDAP lehnte sie ab
Dass eine Frau mit dieser Aufgabe betraut wurde, war in jener Zeit alles andere als selbstverständlich. Und Gertrud Dorka kam nicht aus dem wissenschaftlichen Apparat einer Universität oder eines anderen Museums. Sie wurde am 19. März 1893 in Orlau in Ostpreußen geboren, war nach der Schulzeit ein Jahr im Lehramtsvorbereitungsdienst und kam 1914 nach Berlin. Dort arbeitete sie 30 Jahre lang an verschiedenen Schulen im Bezirk Pankow als Lehrerin. Erst kurz vor ihrer Ernennung zur Leiterin des Museums schied sie 1947 aus dem Schuldienst aus. Ihre neue Aufgabe hatte sie ihrer Begeisterung für die Vor- und Frühgeschichte zu verdanken.
Bereits ab 1916 war Gertrud Dorka Gasthörerin an der Universität Berlin in Vorgeschichte, Geschichte, Geologie und Anthropologie gewesen. Sie besuchte ab 1918 auch Seminare am Märkischen Museum bei dem Berliner Prähistoriker Albert Kiekebusch – parallel zu ihrer Arbeit als Lehrerin. Ihre Faszination für die Vorgeschichte ging so weit, dass sie von 1930 bis 1936 an den Universitäten Berlin und Kiel Vor- und Frühgeschichte, Anthropologie, historische Geographie und Philosophie studierte. Dafür war sie zeitweise vom Schuldienst freigestellt. Im Jahr 1936 beendete sie an der Universität Kiel auch ihre Doktorarbeit. Eine Stelle am Kieler Museum vorgeschichtlicher Altertümer, für die sie in die NSDAP hätte eintreten müssen, lehnte sie aber ab. Sie arbeitete weiter als Lehrerin, wurde 1943 mit ihrer Schulklasse nach Zeitz evakuiert und kehrte 1946 nach Berlin zurück.
Der ihr ab 1947 anvertraute Wiederaufbau des Museums für Vor- und Frühgeschichte war kein leichtes Unterfangen. Denn große Teile der Sammlung waren während des Krieges ausgelagert und später von den Alliierten beschlagnahmt worden. Die in Berlin in einem Bunker verwahrten wertvollsten Stücke des Museums wurden bei Kriegsende von der Sowjetunion abtransportiert. Ein großer Teil der weiteren noch in Berlin befindlichen Objekte lagerte hingegen im Martin-Gropius-Bau. Dort war das Museum ab 1922 untergebracht gewesen. Diese Teile der Sammlung wurden durch einen Bombenangriff und Feuer am 3. Februar 1945 im Schutt des Gebäudes begraben, schwer beschädigt oder völlig zerstört.
Aufbau aus Trümmern und Asche
Gertrud Dorka gelang es nach und nach, das Museum aus Trümmern und Asche wiederaufzubauen. Während ihrer elf Dienstjahre wuchsen die Sammlung und die Bibliothek stetig an und die Anzahl der Mitarbeitenden erhöhte sich. Das hatte verschiedene Gründe. Unter Dorkas Leitung wurden einige Privatsammlungen mit Objekten und Fachbüchern angekauft und die vorgeschichtliche Sammlung des Märkischen Museums kam in die Obhut des Museums für Vor- und Frühgeschichte. Die wohl größte Leistung war aber die Bergung einer großen Menge an archäologischem Material aus der Sammlung des Museums aus dem zerstörten Martin-Gropius-Bau. Gertrud Dorka und ihre Mitarbeiter:innen gruben es aus dem Schutt der Ruine aus. Diese Funde füllten 600 bis 800 Kisten. Dorka selbst packte dabei als „Trümmerfrau“ der besonderen Art im Dienste der Wissenschaft mit an, was ihr den Spitznamen „Scherben-Anna“ einbrachte. Zum Abschluss kamen die Bergungs-Arbeiten im Martin-Gropius-Bau erst nach ihrer Amtszeit, Ende der 1960er Jahre. Denn oft fehlten Geldmittel und Arbeitskräfte. Dorka begegnete Herausforderungen mit Hilfsbereitschaft für ihre Mitarbeitenden, großem Einsatz für die Sache der Vor- und Frühgeschichte, Beharrlichkeit und Einfallsreichtum.
Sie bemühte sich auch, außerhalb von Berlin aufbewahrte und im Krieg ausgelagerte Sammlungsteile des Museums mit den Sammlungsresten in Berlin zusammenzubringen. Hierzu gehörten Gegenstände, die sich in der brandenburgischen Kleinstadt Lebus befanden. Die dortige Außenstelle des Museums wurde jedoch gegen Kriegsende Opfer von Plünderungen. Um Objekte von der lokalen Bevölkerung zurückzubekommen, schlug die ehemalige Lehrerin Dorka auch ungewöhnliche Wege ein. Weil einiges vom Museumsgut in den Besitz von Kindern gelangt war, besorgte sie 25 Kilogramm Süßwaren, die sie gegen Museumseigentum eintauschte.
Vertrauens“mann“ für Bodendenkmalpflege
Bereits gegen Ende der 1940er Jahre gab es Verhandlungen über die Rückführung von Museumsbeständen aus Kunstlagern der westlichen Alliierten. Dorka und andere Wissenschaftler:innen erhielten zwar Zugang zum Museumsgut, waren an den Verhandlungen jedoch nicht direkt beteiligt. Für das Ziel der Rückführung konnten sie nur immer wieder Bitten an die zuständigen Beamten richten. Ein erster Erfolg war die Übergabe von Aktenmaterial im Jahr 1951. Die Rückkehr von weiterem Museumsgut aus einem Kunstlager in Celle dauerte aber bis 1956. Durch die deutsche Teilung waren die von der Sowjetunion beschlagnahmten Objekte für das Museum in West-Berlin nicht zugänglich, obwohl Teile davon zwischen 1956 und 1958 zurück nach Deutschland, nach Ost-Berlin kamen.
Auch über die Arbeit im Museum hinaus war Gertrud Dorka wissenschaftlich und bei archäologischer Feldarbeit aktiv. Neben der Beteiligung an Veröffentlichungen und der Mitgliedschaft in verschiedenen wissenschaftlichen Vereinigungen, trug sie maßgeblich zum Wiederaufbau der archäologischen Denkmalpflege (Bodendenkmalpflege) in Berlin nach dem Krieg bei. Sie unterstützte archäologische Untersuchungen und Fundbeobachtungen in West-Berlin noch bevor es ein neues „Referat für Bodendenkmalpflege“ gab. Im Zuge der Gründung dieser staatlichen Bodendenkmalpflege im Jahr 1948 wurde Gertrud Dorka auch offiziell zu deren Leiterin – zusätzlich zur Leitung des Museums. Ab 1955 bekleidete sie als Frau das wieder eingeführte Amt des „Staatlichen Vertrauensmanns für kulturgeschichtliche Bodenaltertümer in Berlin“. Mit ihren Mitarbeitenden sicherte und untersuchte sie lokales archäologisches Kulturgut. Ausgestellt wurde ein Teil davon durch das Museum für Vor- und Frühgeschichte. Das Museum konnte im ehemaligen Völkerkundemuseum 1955 auch kurzzeitig seine erste Dauerausstellung nach dem Krieg eröffnen. Die alten Räumlichkeiten im Martin-Gropius-Bau waren unbenutzbar. Doch die Unterbringung im benachbarten Bau des Völkerkundemuseums war nicht von Dauer. Bereits gegen Ende von Dorkas Dienstzeit als Museumsleiterin begann der Umzug des Museums in den Langhansbau des Schlosses Charlottenburg.
Unermüdlicher Antrieb und Durchhaltewillen
Das Ende ihrer Zeit als Museumsleiterin war durch einen Konflikt mit ihrem engsten Mitarbeiter und Nachfolger Otto-Friedrich Gandert geprägt. Sein Drängen, die Leitung zu übernehmen, bescherte ihr laut ihrem Tagebuch „einen bitteren Abschied“.
Dem unermüdlichen Antrieb, persönlichen Einsatz und dem Durchhaltewillen dieser starken Frau ist es zu verdanken, dass das Museum für Vor- und Frühgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg als Institution wiederaufgebaut werden konnte. Und sie legte die Basis für eine funktionierende archäologische Denkmalpflege in Berlin nach dem Krieg. Sie gehört zu den wenigen Frauen, die bereits relativ früh in der Geschichte der ur-und frühgeschichtlichen Archäologie eine führende Rolle erlangten. Keine von diesen Frauen stand den männlichen Kollegen in geistiger Schärfe oder wissenschaftlicher Befähigung nach – sie alle können heute durch ihren starken persönlichen Antrieb Vorbild für Wissenschaftler:innen jeden Geschlechts sein.
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Ich erinnere mich an die Namen Dorka und Gandert sehr gut. Meine Mutter ( Dr. Beatrice Vermehren, geb. 12.Januar 1902) war Vor- und Fruehgeschichtlerin. Sie hatte in Vorgeschichte, Geologie, Palaeontologie und Kunstgeschichte in Tuebingen promoviert (1925). Sie leitete fuehrungen in dem Museum waehrend es im Langhans Bau war bis zu ihrem Tod Ende 1977. Ich erinnere mich gut an eine Gelegenheit als ich 5 oder 6 Jahre alt war, dass meine Mutter mich mitnahm nach Kreuzberg wo sie im Keller vorgeschichtliche Sachen vorsichtig auspackte und fuer eine erste Austellung vorbereitete. Das Haus muss das Martin Gropius Haus gewesen sein , denn es war sehr zerbombt, wie auch viele andere Gebaeude in der dortigen Umgebung. Nach Kriegsende wurde meine Mutter von dem derzeitigen Direktor des Pergamon Museums, Professor Walter Andrae gefragt ob sie den Wiederaufbau des Museums fuer Vor- und fruehgeschichte uebernehemen koennte. Mit nicht leichtem Herzen lehnte sie ab, da sie fand es sei wichtiger, dass sie sich der Pflege und Erziehung ihrer fuenf Kinder widmen sollte. Sie war Frau Dr. Dorka immer dankbar fuer ihr mutiges Unternehemen die von meiner Mutter so geliebte Arbeit aufsichzunehmen .
Dies als eine kleine Ergaenzung zu obiger Geschichte
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Ich erinnere mich an die Namen Dorka und Gandert sehr gut. Meine Mutter ( Dr. Beatrice Vermehren, geb. 12.Januar 1902) war Vor- und Fruehgeschichtlerin. Sie hatte in Vorgeschichte, Geologie, Palaeontologie und Kunstgeschichte in Tuebingen promoviert (1925). Sie leitete fuehrungen in dem Museum waehrend es im Langhans Bau war bis zu ihrem Tod Ende 1977.
Ich erinnere mich gut an eine Gelegenheit als ich 5 oder 6 Jahre alt war, dass meine Mutter mich mitnahm nach Kreuzberg wo sie im Keller vorgeschichtliche Sachen vorsichtig auspackte und fuer eine erste Austellung vorbereitete. Das Haus muss das Martin Gropius Haus gewesen sein , denn es war sehr zerbombt, wie auch viele andere Gebaeude in der dortigen Umgebung.
Nach Kriegsende wurde meine Mutter von dem derzeitigen Direktor des Pergamon Museums, Professor Walter Andrae gefragt ob sie den Wiederaufbau des Museums fuer Vor- und fruehgeschichte uebernehemen koennte. Mit nicht leichtem Herzen lehnte sie ab, da sie fand es sei wichtiger, dass sie sich der Pflege und Erziehung ihrer fuenf Kinder widmen sollte. Sie war Frau Dr. Dorka immer dankbar fuer ihr mutiges Unternehemen die von meiner Mutter so geliebte Arbeit aufsichzunehmen .
Dies als eine kleine Ergaenzung zu obiger Geschichte
Haben Sie vielen Dank für diesen spannenden Einblick in die Hintergründe der Geschichte!