Was ist ein Staat? Mobilistan zu Besuch im Museum Europäischer Kulturen
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Staatsbesuch aus Mobilistan: Bei einer künstlerischen Performance im Museum Europäischer Kulturen wurden Anfang Juli Fragen zu Staat, Grenzen und Migration aufgeworfen.
Text: Catalina Heroven & Emily Finkelstein
Anfang Juli 2024 empfing das Museum Europäischer Kulturen einen lang erwarteten Besuch: Drei hochrangige Vertreter*innen des Staates Mobilistan kamen nach mehreren Stationen in Europa, darunter zuletzt in der Villa Massimo in Rom, schließlich auch nach Dahlem, wo sie dem Protokoll entsprechend mit großem Pomp empfangen wurden. Ein roter Teppich wurde ausgerollt und ein dahlemer Posaunenchor trug die Nationalhymne Mobilistans vor, als die schwarze Limousine mit wehenden Flaggen vor den Eingang des Museums Europäischer Kulturen einfuhr. Frau Tietmeyer, Direktorin des Museums, empfing drei Gäste: Manaf Halbouni, Präsident sowie Minister für Verkehr, Digitale Kommunikation, Infrastruktur, Arbeit und soziale Angelegenheiten, Christian Manss, Premierminister sowie Minister für Wirtschaft, Verteidigung und Bildung und schließlich Barbara Repe, Außenministerin, Justizministerin sowie Verantwortliche für die Themenbereiche Tourismus, Propaganda und Sport.
In einem zeremoniellen Akt und nach Worten des gegenseitigen Respekts und Freundschaft, wurde schließlich ein Abkommen über den kulturellen Austausch unterzeichnet und ein Staatsgeschenk Mobilistans an das Museum überreicht: eine Flasche Mobilistaner Luft. „Reine Luft aus dem schönsten Land der Erde“ versicherte Präsident Halbouni. Das Geschenk wird künftig in einer Vitrine des MEK ausgestellt werden, wo aktuell weitere Staatsgeschenke aus unterschiedlichen Zeiten und Anlässen zu sehen sind.
Was für eilige Passant*innen und Museumsbesucher*innen an diesem Eintrittsfreien Sonntag als private und höchst seriöse Zeremonie ausgesehen haben muss, wurde von aufmerksameren BeobachterInnen gleich zu Beginn als künstlerische Performance verstanden. Die allgemeine Wahrnehmung variierte von Aussagen wie „Ja, ja, Mobilistan, kommt mir bekannt vor, irgendwo im Osten liegt das doch bestimmt“ bis hin zu „Mobilistan? Noch nie gehört. Das ist doch erfunden“.
Tatsächlich ist Mobilistan von seinen wichtigsten Landesmännern, den Künstlern Manaf Halbouni und Christian Manss, erfunden und 2021 am Pariser Platz in Berlin gegründet worden. Bei diesem Kunstprojekt handelt es sich um den ersten mobilen Staat begrenzt auf den Raum einer Staatslimousine. Mobilistan hat eine Flagge, eine Hymne und sogar einen eigenen Pass.
Besucher*innen, die Mobilistan näher kennenlernen wollen, haben die Möglichkeit, schnell und unkompliziert ein Visum zu beantragen, um das Land durch das Eintreten in das Fahrzeug zu besuchen und mit den Vertreter*innen dieses Staates in den Austausch zu kommen. In keinem anderen Staat der Welt besteht so einfach die Möglichkeit, dem Präsidenten, dem Premierminister oder der Außenministerin direkt, auf engstem Raum und unter vier Augen Fragen zu stellen: Wie und warum ist dieser Staat entstanden? Was ist überhaupt ein Staat? Wer definiert seine Grenzen? Wohin gehören wir bzw. was ist unser Staat und wer, wenn nicht wir selbst, muss uns anerkennen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Mobilität, Reisefreiheit und unserer Identität?
Mobilistan wirft nicht nur diese Fragen auf, die uns immer wieder aufs Neue begegnen, es öffnet für jeden und jede seine Türen, um darüber in den Austausch zu kommen. Wer Mobilistani werden möchte, kann einen Pass beantragen, der 20 Jahre gültig ist. Die Mobilistaner Staatsbürgerschaft kann problemlos an Nachkommen vererbt werden. Ein permanenter Wohnsitz in Mobilistan ist dabei nicht verpflichtend, da es in dem Fahrzeug nicht genügend Platz dafür gäbe. Aber eins ist sicher: in diesem Staat darf sich jeder Mensch über territoriale und kulturelle Grenzen hinweg frei und zugehörig fühlen, Fragen laut äußern und wer weiß, wenn mal die Kapazitäten ausreichen, auch ein Stückchen mitfahren.
Die Performance bildet den Auftakt der Reihe „Zoom Out. Zeitgenössische Perspektiven an der Schwelle zum Museum“, bei der ausgewählte zeitgenössische Künstler*innen in einen Dialog mit den Staatlichen Museen zu Berlin treten. Ausgehend von den Themen Grenzen und Migration sowie Identität und Zugehörigkeit werden unterschiedliche Perspektiven auf die Museen eingenommen und Fragen über ihre Zugänglichkeit und Bedeutung in der heutigen Gesellschaft aufgeworfen.
„Zoom Out. Zeitgenössische Perspektiven an der Schwelle zum Museum“ wurde konzipiert von Dr. Emily Finkelstein (Wissenschaftliche Museumsassistentin i.F., Hamburger Bahnhof) und Catalina Heroven (Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Generaldirektion der SMB).
Die Reihe ist Teil von „WEITWINKEL Globale Sammlungsperspektiven“, ein seit 2019 existierendes Projekt, das sich ausgehend von Ausstellungen, Forschungsprojekten und Kooperationen der Staatlichen Museen zu Berlin mit transkulturellen Themen und aktuellen Fragestellungen beschäftigt: www.smb.museum/weitwinkel
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